WALDORF FROMMER: Das Landgericht Berlin verurteilt Beklagte antragsgemäß – sekundäre Darlegungslast durch bloßes Nachfragen nicht erfüllt – tatsächliche Vermutung einerseits und sekundäre Darlegungslast andererseits sind getrennt voneinander zu behandeln!

15:16 Uhr

Gegenstand des Berufungsverfahrens: Illegales Tauschbörsenangebot eines urheberrechtlich geschützten Musikalbums

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Bericht

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Urteil als PDF:
http://news.waldorf-frommer.de/wp-content/uploads/2016/05/LG_Berlin_16_S_31_15.pdf

Autorin:

Rechtsanwältin Anna Zimmermann

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Die beklagte Anschlussinhaberin hatte erstinstanzlich vorgetragen, den Internetanschluss nicht allein zu nutzen. Vielmehr hätten zum Tatzeitpunkt auch der Ehemann und der Sohn die Möglichkeit gehabt, den in Rede stehenden Internetanschluss zu nutzen. Nach Erhalt der Abmahnung hätten jedoch beide Mitnutzer auf Nachfrage abgestritten, für die Rechtsverletzung verantwortlich zu sein.

Das Amtsgericht Charlottenburg (Az. 214 C 64/15) hat die Klage auf Grundlage dieses Beklagtenvortrages abgewiesen. Es sah die tatsächliche Vermutung der persönlichen Verantwortlichkeit der Beklagten aufgrund der – nicht erwiesenen – Nutzungsmöglichkeit der weiteren Familienangehörigen als widerlegt an. Zudem ist das Erstgericht davon ausgegangen, dass die Beklagte mit ihrem Vortrag der sekundären Darlegungslast genügt habe. Aufgrund des Umstandes, dass weitere Haushaltsmitglieder selbstständig auf den Internetanschluss zugreifen könnten, ergebe sich bereits die ernsthafte Möglichkeit deren Täterschaft. Schließlich seien die weiteren nutzungsberechtigten Personen namentlich benannt und nach Erhalt der Abmahnung zur Rechtsverletzung befragt worden. Mehr könne vom Anschlussinhaber nicht verlangt werden.

Auf das (Gegen-)Beweisangebot der Klägerseite ist das Erstgericht nicht eingegangen.

Gegen das erstinstanzliche Urteil hat die Klägerin Berufung beim Landgericht Berlin eingelegt. Das Landgericht Berlin hat die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und die Beklagte zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 450,00 EUR sowie Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten der Klägerin in Höhe von 506,00 EUR verurteilt.

Dabei hat das Berufungsgericht klargestellt, dass zwischen den beiden Rechtsinstituten der tatsächlichen Vermutung und sekundären Darlegungslast zu trennen ist. Der Vortrag, der zur Erschütterung der tatsächlichen Vermutung geeignet wäre, sei nicht zwangsläufig deckungsgleich mit demjenigen, der im Rahmen der sekundären Darlegungslast zu fordern sei.

„Das Gericht vertritt insoweit die Auffassung, dass beide Gesichtspunkte – tatsächliche Vermutung einerseits und sekundäre Darlegungslast andererseits – getrennt voneinander zu behandeln sind, insbesondere die sekundäre Darlegungslast nicht zwangsläufig bereits durch Vortrag erfüllt wird, der für die Widerlegung der tatsächlichen Vermutung einer Täterschaft genügen würde. Das ergibt sich auch aus der genannten Entscheidung des BGH (BGH a.a.O. Rdn. 37) [Anmerkung d. Verfasserin: Verweis auf BGH GRUR 2016, 191 – Tauschbörse III].“

Vielmehr seien an den Vortrag im Rahmen der sekundären Darlegungslast hohe Anforderungen zu stellen, wie auch den aktuellen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 11.06.2015 zu entnehmen sei. Insbesondere habe die Beklagte ihrer Nachforschungspflicht nicht genügt. Das bloße Nachfragen sei unzureichend.

Ließe man den Vortrag der Beklagten zur Erfüllung der sekundären Darlegungslast genügen, würde in Mehrpersonenhaushalten sowie im Familienkreis eine nicht zu rechtfertigende Schutzlücke entstehen, so das Landgericht Berlin. Der Anschlussinhaber könnte sich in der Folge durch völlig vage bleibenden Vortrag aus der Haftung befreien, ohne dem verletzten Rechteinhaber Anhaltspunkte zur Verfügung zu stellen, die es ihm ermöglichen würden, eine andere Person in Anspruch zu nehmen.

„Nach Auffassung des erkennenden Gerichts ist die sekundäre Darlegungslast aber jedenfalls im hier vorliegenden Fall entgegen der Auffassung des Amtsgerichts nicht erfüllt. Tatsache ist, dass in dieser Fallkonstellation neben der Beklagten nur ihr Lebensgefährte und ihr Sohn als Täter in Betracht kommen, wobei – wie auch das Amtsgericht in seinen Urteilsgründen annimmt – eine Täterschaft des Sohnes am wahrscheinlichsten gewesen sein dürfte. Vor diesem Hintergrund kann es nicht ausreichen, dass die Beklagte ihren Sohn einfach nur befragt und sich dann offenbar mit dessen schlichtem Leugnen zufrieden gegeben hat.

Denn obwohl die Beklagte hier ohne weiteres die Möglichkeit hätte, durch weitere Nachfrage oder auch eigene Nachforschungen die objektiv bestehenden Verdachtsmomente zu erhärten oder gegebenenfalls zu entkräften, hat sie offenbar gar nichts weiter unternommen, sondern das Befragungsergebnis so hingenommen. Mit diesem stehen andererseits auch der Kläger keinerlei weitere Anhaltspunkte dafür zur Verfügung, dass sie statt der Beklagten etwa den Sohn in Anspruch nehmen könnte, obwohl tatsächlich einer der drei bekannten Personen – die Beklagte selbst, ihr Lebensgefährte oder ihr Sohn – die Rechtsverletzung begangen haben muss.

Würde die Darlegung der Beklagten hier tatsächlich zum Ausschluss ihrer Haftung führen, hätte sie in dieser Fallkonstellation die Möglichkeit, durch entsprechend vage bleibenden Vortrag sowohl ihren Sohn zu schützen, als auch die eigene Haftung auszuschließen. Das erscheint aber selbst dann nicht gerechtfertigt, wenn es – wie hier – um eine Rechtsverletzung geht, die sich im engen Familienkreis abgespielt hat.

Zwar greift der verfassungsrechtliche Schutz der Familie ein, weshalb die Beklagte ihren Sohn auch nicht belasten muss. Das hat aber umgekehrt zur Folge, dass sie selbst die Haftung auf sich nehmen muss. Anderenfalls würde bei Urheberrechtsverletzungen im Familienkreis eine Schutzlücke entstehen, die auch durch den Schutz der Familie nicht zu rechtfertigen ist.“

 

Landgericht Berlin, Urteil vom 10.03.2016, Az. 16 S 31/15

 

Vorinstanz:
Amtsgericht Charlottenburg, Urteil vom 06.05.2015, Az. 214 C 64/15

 

(…) hat die Zivilkammer 16 des Landgerichts Berlin in Berlin – Mitte, Littenstraße 12-17, 10179 Berlin, auf die mündliche Verhandlung vom 10.03.2016 durch den Richter am Landgericht [Name] als Einzelrichter

für Recht erkannt:

 

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 6. Mai 2015 verkündete Urteil des Amtsgerichts Charlottenburg – Az. 214 C 64/15 – geändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 956,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. Mai 2014 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen trägt die Beklagte. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

 

I.

Bezüglich des Sachverhalts wird gemäß § 540 Abs. 1 ZPO auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils vom 06.05.2015 verwiesen.

II.

Die Berufung ist begründet.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte zunächst einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 450,00 EUR wegen des öffentlichen Zugänglichmachens des genannten Musikalbums im Wege des so genannten Filesharings gemäß §§ 97 Abs. 2, 16 ff. UrhG, 287 ZPO. Hinsichtlich der zugrunde liegenden Urheberrechtsverletzung ist zwischen den Parteien allein im Streit, ob die Beklagte als Täterin dafür verantwortlich ist. So hat die Beklagte weder bestritten, dass die Klägerin Inhaberin der erforderlichen Nutzungsrechte an den Musikstücken war, noch dass es überhaupt über den ihr zugewiesenen Internetanschluss zu einer Urheberrechtsverletzung gekommen ist, zumal – wie ebenfalls unstreitig – der WLAN-Anschluss der Beklagten ausreichend gegen unberechtigte Nutzung Dritter gesichert war. Auf Grundlage der dafür vom BGH aufgestellten Anforderungen (vgl. zuletzt BGH GRUR 2016, 191 – Tauschbörse III) haftet die Beklagte hier – trotz ihres dahingehenden Bestreitens – als Täterin dafür, dass die Musikstücke von ihrem Internetanschluss aus öffentlich zugänglich gemacht wurden.

Zwar trägt die Klägerin nach den allgemeinen Grundsätzen als Anspruchsteller im Ausgangspunkt auch hier die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Voraussetzungen des von ihr geltend gemachten Anspruchs auf Schadensersatz erfüllt sind. Den Inhaber des Anschlusses – hier die Beklagte – trifft aber jedenfalls eine sekundäre Darlegungslast, der er dadurch genügt, dass er dazu vorträgt, ob andere Personen und gegebenenfalls welche anderen Personen selbstständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kommen.

Einerseits führt dies zwar weder zu einer Umkehr der Beweislast noch zu einer über die prozessuale Wahrheitspflicht und Erklärungslast hinausgehende Verpflichtung des Anschlussinhabers, dem Anspruchsteller alle für seinen Prozesserfolg nötigen Informationen zu verschaffen. Andererseits ist der Anschlussinhaber nach der Rechtsprechung des BGH aber im Umfang seiner sekundären Darlegungslast „im Rahmen des Zumutbaren“ durchaus auch zu Nachforschungen verpflichtet (vgl. BGH GRUR 2016, 191 – Tauschbörse III – Rdn. 37).

Die genaue Reichweite der so bestimmten „sekundären Darlegungslast“ und der damit verbundenen Nachforschungspflichten mag nach der Rechtsprechung des BGH nach der zitierten Entscheidung im Einzelnen auch weiter unklar bleiben. Die Entscheidung legt allerdings zumindest nahe, dass diese Obliegenheit des Anschlussinhabers eher strenger auszulegen sein dürfte, als dies bisher teilweise von der Rechtsprechung der Instanzgerichte angenommen wird.

Nach Auffassung des erkennenden Gerichts ist die sekundäre Darlegungslast aber jedenfalls im hier vorliegenden Fall entgegen der Auffassung des Amtsgerichts nicht erfüllt. Tatsache ist, dass in dieser Fallkonstellation neben der Beklagten nur ihr Lebensgefährte und ihr Sohn als Täter in Betracht kommen, wobei – wie auch das Amtsgericht in seinen Urteilsgründen annimmt – eine Täterschaft des Sohnes am wahrscheinlichsten gewesen sein dürfte. Vor diesem Hintergrund kann es nicht ausreichen, dass die Beklagte ihren Sohn einfach nur befragt und sich dann offenbar mit dessen schlichtem Leugnen zufrieden gegeben hat. Denn obwohl die Beklagte hier ohne weiteres die Möglichkeit hätte, durch weitere Nachfrage oder auch eigene Nachforschungen die objektiv bestehenden Verdachtsmomente zu erhärten oder gegebenenfalls zu entkräften, hat sie offenbar gar nichts weiter unternommen, sondern das Befragungsergebnis so hingenommen. Mit diesem stehen andererseits auch der Klägerin keinerlei weitere Anhaltspunkte dafür zur Verfügung, dass sie statt der Beklagten etwa den Sohn in Anspruch nehmen könnte, obwohl tatsächlich einer der drei bekannten Personen – die Beklagte selbst, ihr Lebensgefährte oder ihr Sohn – die Rechtsverletzung begangen haben müssen. Würde die Darlegung der Beklagten hier tatsächlich zum Ausschluss ihrer Haftung führen, hätte sie in dieser Fallkonstellation die Möglichkeit, durch entsprechend vage bleibenden Vortrag sowohl ihren Sohn zu schützen, als auch die eigene Haftung auszuschließen. Das erscheint aber selbst dann nicht gerechtfertigt, wenn es – wie hier – um eine Rechtsverletzung geht, die sich im engen Familienkreis abgespielt hat. Zwar greift der verfassungsrechtliche Schutz der Familie ein, weshalb die Beklagte ihren Sohn auch nicht belasten muss. Das hat aber umgekehrt zur Folge, dass sie selbst die Haftung auf sich nehmen muss. Anderenfalls würde bei Urheberrechtsverletzungen im Familienkreis eine Schutzlücke entstehen, die auch durch den Schutz der Familie nicht zu rechtfertigen ist.

Hat die Beklagte nach alledem ihrer sekundären Darlegungslast nicht genügt, begründet nach der Rechtsprechung des BGH bereits dies ihre Haftung als Täterin, ohne dass es darauf ankäme, ob sich diese vorliegend zusätzlich auch aus einer „tatsächlichen Vermutung“ herleiten ließe. Das Gericht vertritt insoweit die Auffassung, dass beide Gesichtspunkte – tatsächliche Vermutung einerseits und sekundäre Darlegungslast andererseits – getrennt voneinander zu behandeln sind, insbesondere die sekundäre Darlegungslast nicht zwangsläufig bereits durch Vortrag erfüllt wird, der für die Widerlegung der tatsächlichen Vermutung einer Täterschaft genügen würde. Das ergibt sich auch aus der genannten Entscheidung  des BGH (BGH a.a.O. Rdn. 37). Der Höhe nach erscheint der von der Klägerin angegebene Schadensersatzbetrag von 450,00 EUR nach Maßgabe von § 287 ZPO insbesondere angesichts der weiter kaum feststellbaren Schadensfolgen angemessen, auch wenn die Klägerin diesen lediglich als „Mindestschaden“ bezeichnet.

Die Klägerin hat darüber hinaus gegen die Beklagte auch einen Anspruch auf Erstattung von Abmahnkosten in Höhe der geltend gemachten 506,00 EUR gemäß § 97a UrhG. Die Beklagte hat den Anfall der entsprechenden Gebühren nach dem RVG jedenfalls zuletzt nicht mehr angegriffen. Der Ansatz eine 1,0 Geschäftsgebühr nach einem Gegenstandswert von 10.000,00 EUR für das vorgerichtliche Unterlassungsbegehrens ist aber auch in der Sache nicht zu beanstanden.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Für die Zulassung der Revision bestand nach Maßgabe des § 543 ZPO kein Anlass. (…)

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LG Berlin, Urteil vom 10.03.2016, Az. 16 S 31/15

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