Das „Skandalurteil“ des OLG München (Az. 29 U 2593/15), jedenfalls aus Sicht der Foren-Fachleute!

 

13:45 Uhr

Voranstellend und einführend eine chronologische Abfolge, die auffallende Ähnlichkeiten zu den Einschätzungen der „Fachleute“ in den Foren vor und nach dem Termin 11.05.2015 betreffs den BGH-Entscheiden „Tauschbörse I – III“ aufweist. Ich verzichte hier – bewusst – auf Namensnennung und werde diese auch nachfolgend abändern, entpersonalisieren. Auf die Beleidigungen in den Zitaten verzichte ich dabei.

 

05.12.2015, Forum B:

(…) Eines der besten Beispiele der letzten Monate ist die aktuelle „OLG-München-Affaire“.

Zitat aus Forum A:
Mit dem Volltext zum BGH-Entscheid „Tauschbörse III“ wird nur in einem Satz klar, was der BGH wirklich meint.“

Problematisch für rka / [Forum A] jedoch eine zufällig am 03.12.2015 statt findende mündliche Verhandlung am OLG München, in der die Gegenpartei, vertreten durch Rasch – Hamburg, den einen Satz nebst identischer These zu rka / [Forum A] vorlegte (vgl. Terminsbericht). Das OLG München fand den Satz aber gar nicht so klar, sondern war (noch mehr) „sehr verunsichert“. Gerade abgeleitete Thesen („Kein Zeugnisverweigerungsrecht …“) aus dem Satz von nun Rasch / [Forum A] / rka „verunsicherten“. Das Gericht will umfangreich und sorgsam prüfen.

Andersherum: Wenn der Satz so klar wäre, hätte das Gericht schlicht dem Dr. Knies empfohlen, die Berufung zurückzunehmen.

Das die Abmahner dennoch ihre These aufrechterhalten und sicherlich auch da und dort Gehör finden werden – logisch. Jedoch markiert bereits der 03.12.2015 die erste große Pleite, die allerdings in einem sicher superinteressanten Urteil münden wird. Und nicht LG! OLG! (…) Fazit: für die „Fachleute“ sehr leicht erkennbar. Aber nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, da ein Großteil der Abgemahnten es nicht erkennt. (…)

 

14.01.2016, Termin OLG München (Az. 29 U 2593/15),
Verlauf, aus unserer Sicht eher suboptimal

Nach bewusster Stille und Zeit des Nachdenkens der „Fachleute“ …

14.01.2015, Forum B:

(…) Wie zu erwarten hat das OLG München verfügt, dass die Rechte der Unterhaltungsindustrie höher wiegen als Grundrechte deutscher Bürger. Zudem hat es verfügt, das eine Zeugnisverweigerung eines Zeugen bei dem jeweiligen Beklagten „Beweisfälligkeit“ auslöst – er also den Beweis dann nicht erbracht hat.

Man ist gespannt – wie / ob das noch weiter geht. Mehr eventuell später. (…)

 

Und die Drohung „eventuell später mehr“ wurde von uns Fachleuten umgesetzt. Denn, als der rettende Strohhalm: „Wir ziehen vor den BGH!“ in den Medien kursierte – wieder mit Oberwasser – hieß es jetzt …

 

16.01.2015, Forum B:

(…) Seitenskandal: Der Bayrische Rundfunk lässt Wilhelm Schneider, Sprecher des Oberlandesgerichts München zu Wort kommen. (…) Der Junge hat dabei wohl nicht erwartet, dass die Kanzlei Rasch das Urteilsfax so schnell veröffentlichen wird. Auf den Seiten 8/9 wird schnell klar, dass der Sprecher des OLG die Öffentlichkeit hier anlügt. (…) Dabei sollte man auch weiterlesen! Insbesondere die Fantasien zum Verhalten der Beklagten während eines Bekanntenbesuches stellen die Denkrichtung Münchens klar. Es wird krampfhaft und unverständlich jede noch so idiotische Möglichkeit an den Haaren herbei gezerrt. So müsse man keine Besucher-Zeugen hören, da diese sich sicherlich nicht daran erinnern könnten, wie sich einer der Anschlussinhaber schnell aus dem Wohnzimmer geschlichen habe, um schnell eine Internettauschbörse zu aktivieren. (…)

 

Dann, wieder auf den Gipfel der „Überlegenheit“ …

16.01.2016, Forum B:

(…) Vergleichbar und bekannter ist aktuell die Klärung Rechtsfrage der Interpretation des §102 UrhG – also die Rechtsfrage der Verjährung. In der Rechtsfrage der Verjährung spielt sogar noch nicht einmal mehr eine Rolle, ob man der Täter ist. Es geht hierbei niemals um „dumm gelaufen“, oder „toll gelaufen“. Ungeklärte Rechtsfragen gehören … geklärt. Ein Täter, der z.B. die ungeklärte Rechtsfrage vor dem BGH klären lässt, ist nicht „dumm“ wenn er verliert, oder „ganz schlau“ wenn er gewinnt. Er hat schlichtweg die Eier die ungeklärte Rechtsfrage klären zu lassen. (…)

Mit einem polemischen Abschließen des „Gedankengutes“ der Forenwelt:

(…) Es mangelt wie immer an der (für Erfolge) notwendige Solidarität unter Abgemahnten! (…)

 

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Was stellt das OLG München (Az. 29 U 2593/15) für mich dar?

 

Natürlich möchte auch ich meinem Standpunkt darlegen, der aber auf keiner nachgewiesen qualifizierten oder studierten Meinung beruht, sondern auf meinen wirren und unstrukturierten Gedanken. Dabei werde ich versuchen, unparteiisch zu bleiben. Sicherlich ist das Urteil des OLG München aus der Sicht der Beklagten erst einmal schlecht ausgegangen. Punkt. Schnell wurden die „Rufer aus der Wüste“ laut: den bajuwarisch anders tickenden Uhren; Rechtsbruch der Oberlandesrichter; Grundgesetz (Art. 6) wird mit den Füßen getreten; Irrsinn, dass man seine Kinder „verpetzen“ muss!; aber der BGH wird hier die Entscheidung fällen!

Nur was sagt denn das OLG bzw. was war der Auslöser?

Vorinstanz: LG München – Az. 57 O 5394/14

(…) Die Beklagten beantragen:
Klageabweisung.

Sie tragen zur Begründung vor, (…)
(..) Am 02.01.2011 hätten die Beklagten ab 16:00 Uhr bis ca. Mitternacht Gäste gehabt, der PC der Beklagten im Wohnzimmer sei ausgeschaltet gewesen. Die Kinder seine ebenfalls im Hause gewesen und der illegale Download sei von einem der Kinder der Beklagten verursacht worden. (…)

(…) Die Beklagten sind der Auffassung, dass sie ihrer sekundären Darlegungslast genügt hätten.
Da die sekundäre Darlegungslast nicht zu einer Umkehr der Beweislast führe, sei es nicht Sache der Beklagten zu beweisen, dass ihre Kinder zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung Zugriff auf das Internet gehabt hätten und als Täter in Betracht kämen. Daher seien sie auch nicht beweisfällig geblieben. (…)

 

OLG München – Az. 29 U 2593/15

(…) Die Klägerin trägt vor, die Beklagten hätten die Verletzungshandlungen vorgenommen. Sie vertritt die Auffassung, sich insoweit auf eine tatsächliche Vermutung stützen zu können; das Vorbringen der Beklagten, sie hätten drei Kinder und diese hätten Zugang zu dem Internetanschluss gehabt, werde bestritten. (…)

 

Warum bestreitet man seitens des Klägers, dass die Beklagten drei Kinder hätten, die Zugang zum Internet gehabt hätten, obwohl die Beklagten es schon vor dem Landgericht vortragen?

Bestreiten (§§ 138, 288 ZPO):
Bestreiten kann nur diejenige Partei im Prozess, die nicht die Behauptungs- und Beweislast trägt (Schellhammer, ZPO, 9. Auflage Rnr. 297 ff). Das bedeutet, die Beklagten sind in der Beweislast.

Jetzt muss man wissen – egal ob strategisch günstig, oder nicht – am 02.12.2015 (Spätabends) wurde durch die Kanzlei Rasch Rechtsanwälte der Volltext zu den BGH Entscheiden „Tauschbörse I – III“ veröffentlicht, die zum Zeitpunkt des Termins 03.12.2015 dem OLG Verfahrens noch nicht vorlagen. Dieser Fakt wird von den „Fachleuten“ gern negiert.

 

Prozessbevollmächtigter der Beklagtenseite in seinem Terminsbericht vom 06.12.2015:

(…) Wie das OLG München den Rechtsfall beurteilen wird, erscheint im Moment noch völlig offen, da dem Senat die schriftlichen Urteilsbegründungen in den drei Filesharing Verfahren vor dem BGH aus dem Sommer diesen Jahres (Filesharing I-III) noch nicht vorlagen, die just an diesem Tage von der Kanzlei Rasch veröffentlicht worden waren. (…)

 

Interessant hierbei sowieso erst einmal nur der BGH-Entscheid – I ZR 75/14 – „Tauschbörse III“.

Auszugsweise:
(…) dass es nicht auf die Nutzungsmöglichkeit von Familienangehörigen im Allgemeinen, sondern konkret auf die Situation zum Verletzungszeitpunkt ankommt. (…)
(…) ist der Anschlussinhaber im Rahmen des Zumutbaren zu Nachforschungen sowie zur Mitteilung verpflichtet, welche Kenntnisse er dabei über die Umstände einer eventuellen Verletzungshandlung gewonnen hat (vgl. BGHZ 200, 76 Rn. 20 – BearShare; BGH, Urteil vom 11. April 2013 – I ZR 61/12, TransportR 2013, 437 Rn. 31). (…)
(…) Diesen Anforderungen wird die pauschale Behauptung der bloß theoretischen Möglichkeit des Zugriffs von im Haushalt des Beklagten lebenden Dritten auf seinen Internetanschluss nicht gerecht. (…)

 

Mein viel kritisierter Standpunkt:

BGH-Entscheid – I ZR 75/14 – „Tauschbörse III“
(…) Der Anschlussinhaber genügt seiner sekundären Darlegungslast vielmehr dadurch, dass er dazu vor-trägt, ob andere Personen und gegebenenfalls welche anderen Personen selbstständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kommen. In diesem Umfang ist der Anschlussinhaber im Rahmen des Zumutbaren zu Nachforschungen verpflichtet. Entspricht der Beklagte seiner sekundären Darlegungslast, ist es wieder Sache der Klägerinnen als Anspruchsteller, die für eine Haftung des Beklagten als Täter einer Urheberrechtsverletzung sprechenden Umstände darzulegen und nachzuweisen (BGHZ 200, 76 Rn. 15 ff. – BearShare, mwN). Mit diesen Grundsätzen steht das Berufungsurteil im Einklang. (…) dass es nicht auf die Nutzungsmöglichkeit von Familienangehörigen im Allgemeinen, sondern konkret auf die Situation zum Verletzungszeitpunkt ankommt. (…)

Mit dem Volltext zum BGH-Entscheid „Tauschbörse III“ wird nur in einem Satz klar, was der BGH wirklich meint.

BGH-Entscheid – I ZR 75/14 – „Tauschbörse III“
(…) In diesem Umfang ist der Anschlussinhaber im Rahmen des Zumutbaren zu Nachforschungen sowie zur Mitteilung verpflichtet, welche Kenntnisse er dabei über die Umstände einer eventuellen Verletzungshandlung gewonnen hat (vgl. BGHZ 200, 76 Rn. 20 – BearShare; BGH, Urteil vom 11. April 2013 – I ZR 61/12, TransportR 2013, 437 Rn. 31). Diesen Anforderungen wird die pauschale Behauptung der bloß theoretischen Möglichkeit des Zugriffs von im Haushalt des Beklagten lebenden Dritten auf seinen Internetanschluss nicht gerecht. (…)

Summa summarum:

Wenn eine pauschale Behauptung nicht ausreicht – muss dies bewiesen werden (und das können / wollen wir nicht) + das es nicht mehr ausreicht pauschal nur zu sagen, das Personen den Anschluss mitnutzen …
… sondern „wer – wann – wie“ den Anschluss zum jeweiligen Log nutze! Resultierend wird sich niemand mehr auf sein Zeugnisverweigerungsrecht berufen werden können.

 

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Was ist nun mit dem grundgesetzlich verbrieften Schutz der Familie (Art. 6 GG)?

 

Unhöflich, eine Frage mit einer Gegenfrage zu beantworte. Ich weiß! Was ist aber mit dem grundgesetzlich verbrieften Schutz der Privatautonomie (Art. 2 GG) und des Eigentums (Art. 14 GG) des Klägers? Man sollte hier – im Zivilrecht – doch einmal versuchen ausgehen von,

 

Untermaßverbot (minimaler Schutz) i.V.m. der Abwägung widerstreitender Grundrechte

Beklagten
Artikel 6 GG
Schutz der Familie
(Zeugnisverweigerung;
Es muss niemand „verpetzt“ werden)
.
.

Kollision der Grundrechte
=> Schutzbedürftigkeit
=> Ausgleich aller Belange
.
.

Kläger
Artikel 2
Privatautonomie
=> effektiver Rechtsschutz
Artikel 14
Eigentum

 

Ich persönlich denke, man sollte, bevor man eine Grundgesetzverletzung in den Mund nimmt, diese Aufstellung bedenken. Und nicht einmal weiter aus den Blickwinkeln der Wahrheitsfindung in einem Verfahren und der Aufklärungspflicht der Parteien heraus.

Egal ob der Kläger jetzt – in den Fall OLG München (Az. 29 U 2593/15) – doch alle Benannte verklagen könnte, oder die Beklagten sich auf den Art. 6 GG berufen i.V.m. der Ausklammerung der Täteridentifizierung durch die Beklagten selbst – haben wir einmal die vorbenannten Grundsätze des BGH-Entscheides „Tauschbörse III“ zur sekundären Darlegungslast.

Natürlich muss – obwohl man seitens der Beklagten den Täter kennt und dieses vorträgt – diesen nicht „verpetzen“ sowie die Kinder sich auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen. Nur muss man dann keine Krokodilstränen vergießen, wenn man sagt:

OLG München (Az. 29 U 2593/15):

(…) Die Klägerin hat schon bestritten, dass die Beklagte Kinder hätten, insbesondere aber auch, dass die Behauptung der Beklagten zutreffe, die Kinder hätten Zugang auf den Internetanschluss nehmen können. Damit hat sie vorgetragen, allein die Beklagten hätten auf den Internetanschluss zugreifen können. (…)

(…) Dieser Behauptung sind die Beklagten zwar entgegengetreten, haben dabei die Anforderungen der sie insoweit treffenden sekundären Darlegungslast nicht erfüllt. Ihnen oblag es nach den oben genannten Maßstäben mitzuteilen, welche Kenntnisse sie über die Umstände einer eventuellen Verletzungshandlung gewonnen hatten, nach ihrem eigenen Vorbringen also, welches ihrer Kinder die Verletzungshandlung begangen hatte. Sie haben sich indes geweigert, diese Kenntnis mitzuteilen. Damit berufen sie sich lediglich pauschal auf eine bloß generell bestehende Zugriffsmöglichkeit ihrer drei Kinder auf den Internetanschluss ohne konkrete Angaben zur Verletzungshandlung und genügen ihrer Darlegungslast. (…)

(…) Da die Beklagten ihrer sekundären Darlegungslast zum Zugriff Dritter auf ihren Internetanschluss nicht nachgekommen sind, ist von der tatsächlichen Vermutung auszugehen, dass die Beklagten als Inhaber des Anschlusses die Täter der Rechtsverletzung sind. (…)

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17.01.2016, Forum B:

(…) „Lustigerweise“ lässt das OLG die Berufung sogar zu dem „im Tenor ersichtlichen“ Umfang zu. Und dies ist der gesamte Berufungsumfang.
Ansonsten würde ich ganz einfach mal den Bericht von Dr. Bernhard Knies lesen. Der freut sich ja schon sehr auf die Revision. (…)

Nun scheint es ja heute Hipp zu sein, das man sofort nach Karlsruhe zieht und irgendeine „Spendenaktion“ wird dann zumindest die Kosten des sich freuenden Anwalts der Beklagten begleichen. Nur sollte man hier dann genau mit dem Mandanten – alle – Risiken und – besonders – Kosten besprechen, wenn das erhoffte Ergebnis nicht eintrifft.

Natürlich kann man den Sachverhalt auch folgendermaßen sehen:

Im Rahmen der sekundären Darlegungslast ist es völlig ausreichend, einen Vortrag zu benennen, aus dem sich ergibt, dass eine Rechtsverletzung durch andere – also durch die Kinder – denkbar ist.

Warum sollte es hierfür erforderlich sein, die Namen der Kinder zu nennen?

Die Frage, wer konkret das Recht verletzt hat, mag die materiellen Interessen des Rechteinhabers befriedigen und eine weitere Rechtsverfolgung erleichtern; für die Feststellung der Verantwortlichkeit des Anschlussinhabers halte ich sie jedoch für nicht erheblich.

Sicherlich wird – wie angekündigt – letztlich Revision eingelegt und die Bundesrichter revidieren (warum auch immer) ihre Ermessensgrundlage aus dem BGH-Entscheid „Tauschbörse III“ oder präzisieren die Kriterien zur sekundären Darlegungslast i.V. m. Art. 6 GG – ist es für nachfolgende Filesharing-Verfahren eine gute Sache. Wenn nicht, erleben wir einen zweiten 11. Juni 2015. Und der Verlierer zahlt alles und wird wohl nicht belustigt sein!

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Steffen Heintsch für AW3P