Gerichtsgutachten in Klageverfahren der Kanzlei „Waldorf Frommer Rechtsanwälte“ – kein Problem, halb so schlimm!

16:29 Uhr

 

 

Rechtsanwalt Marc Hügel

WALDORF FROMMER Rechtsanwälte
Beethovenstraße 12 | 80336 München
Telefon: 089 / 52 05 72 10 | Telefax: 089 / 52 05 72 30
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Die Initiative AW3P berichtet seit Jahren über bekannte Gerichtsverfahren, egal ob diese aus unserer Sicht positiv oder negativ ausgehen. Augenscheinlich, dass sich unabhängige Gerichtsgutachten häufen und deren Ausgang immer, jedenfalls aus unserer Sicht, negativ ausgeht. Was gilt nun wirklich bei der Einholung eines unabhängigen Gutachtens durch das Gericht? Dieses ist AW3P nachgegangen und hat kurze ausgewählte Fragen an die Münchener Kanzlei „Waldorf Frommer Rechtsanwälte“ gerichtet. Für die Beantwortung hat sich Rechtsanwalt Marc Hügel freundlicherweise bereiterklärt. Rechtsanwalt Marc Hügel ist einer der Gesellschafter der Kanzlei „Waldorf Frommer Rechtsanwälte“. Seit 2003 beschäftigt Rechtsanwalt Marc Hügel sich u.a. intensiv mit der Bekämpfung von diversen Rechtsverletzungen im Internet.

 

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AW3P: Herr Rechtsanwalt Marc Hügel. Wann und warum wird ein Gerichtsgutachten eingeholt, wer kann dieses Beantragen?

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Rechtsanwalt Marc Hügel: Vor Gericht gilt eine einfache Regel: Jede Partei muss diejenigen Tatsachen, die sie behauptet und zur Begründung ihrer Rechtsauffassung heranzieht, auch beweisen. Im Ergebnis muss das Gericht davon überzeugt sein, dass die vorgebrachte Tatsache der Wahrheit entspricht. Bei sehr technischen oder naturwissenschaftlichen Fragestellungen kann man als Beweis ein sogenanntes Sachverständigengutachten anbieten. Anstatt also selbst zu versuchen, das Gericht zu überzeugen, ist es pragmatischer, einen neutralen Dritten einen Blick auf die Frage werfen zu lassen. Beantragt wird das Sachverständigengutachten von der Partei, die sich von dem Beweis etwas verspricht. Ausgesucht und benannt wird der Sachverständige dann vom Gericht.

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AW3P: Kann ich als Beklagter bzw. Sie als Kläger die Fragen / den Inhalt beeinflussen?

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Rechtsanwalt Marc Hügel: Da die Einholung eines Gutachtens auf dem konkreten Tatsachenvortrag einer Partei beruht, hat diese natürlich insoweit einen gewissen Einfluss auf die zu begutachtende Frage. Das ist auch logisch, denn die Aufgabe des Gutachters folgt natürlich unmittelbar aus der Tatsache, die bewiesen werden soll. Die konkreten Fragen werden dann aber vom Gericht formuliert. Die Parteien haben aber nach Vorliegen eines schriftlichen Gutachtens noch die Möglichkeit, eigene Fragen zu stellen bzw. sich zum Ergebnis des Gutachtens zu äußern.

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AW3P: Herr Rechtsanwalt Marc Hügel. Diese Gutachter sind aber bestimmt von Ihrer Kanzlei benannt und daher parteiisch? Außerdem liest man immer von unseren „Foren-Experten“ von sogenannten Gefälligkeitsgutachten.

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Rechtsanwalt Marc Hügel: Bei solchen Mutmaßungen kann ich mir ein Schmunzeln nur schwer verkneifen. Die vermeintlichen Gefälligkeitsgutachten und vergleichbare Verschwörungstheorien gehören wohl eher in den Bereich der „urban legends„. Tatsächlich wählen die Gerichte die Gutachter selbst aus und lassen sich hierbei auch nicht beeinflussen. Ein Richter kann die Parteien zwar um Vorschläge zu geeigneten Personen bitten, das ist jedoch nach unserer Erfahrung die absolute Ausnahme. Ich selbst kann mich da eigentlich an keinen Fall erinnern. Wir versuchen uns bei entsprechenden Vorschlägen ohnehin eher zurückzuhalten, um eben solchen ungerechtfertigten Vorwürfen aus dem Weg zu gehen. Kurz gesagt: „Gefälligkeitsgutachten“ gibt es nicht.

Was leider selten den Weg in die Internetforen findet: Bevor ein Gericht einen Sachverständigenbeweis für viele Tausend Euro einholt, werden die Parteien regelmäßig auf die großen – vor allem finanziellen – Risiken hingewiesen. Zudem verweisen die Gerichte natürlich auch auf die Erfahrungen aus vergleichbaren Verfahren. In unserem Fall hören wir häufig, dass keiner der vom Gericht beauftragten Gutachter jemals ein Fehler in den Ermittlungen der DIGITAL FORENSICS feststellen konnte. Wer es dennoch „wissen möchte“, lässt es eben auf ein „eigenes“ Gutachten ankommen.

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AW3P: Muss ich als möglicher Beklagter / Sie als Kläger der Einholung zustimmen?

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Rechtsanwalt Marc Hügel: Das Sachverständigengutachten ist ein ganz normales Beweismittel. Und gegen Beweismittel kann sich die andere Partei nur in wenigen Ausnahmefällen wehren. Bei den Sachverständigengutachten in unseren Fallen geht es aber regelmäßig um eine Kernfrage des Falles, die Ermittlung der IP-Adresse. Daher muss die gegnerische Partei nicht zustimmen bzw. kann sich auch nicht per se gegen die Einholung eines Sachverständigengutachtens isoliert wehren. Sie hat es allerdings in der Hand, den zu begutachtenden Sachverhalt unstreitig zu stellen, also offiziell zuzugestehen, dass die Ermittlung der IP-Adresse korrekt erfolgt ist. In solchen Fällen ist ein Gutachten dann natürlich nicht mehr erforderlich.

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AW3P: Herr Rechtsanwalt Marc Hügel. Der Kläger zahlt immer, egal ob er gewinnt oder verliert?

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Rechtsanwalt Marc Hügel: Das ist nicht richtig. Die Kosten eines vom Gericht beauftragten Gutachters gehören zu den Verfahrenskosten, die letztlich die unterliegende Partei zu tragen hat.

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AW3P: Wie viel kostet so ein Gutachten und gibt es einen Einheitspreis?

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Rechtsanwalt Marc Hügel: Einen Einheitspreis gibt es nicht. Vielmehr variieren die Kosten je nach Umfang der Beweisfrage, dem Aufwand sowie der individuellen Herangehensweise des Sachverständigen. In der Praxis haben wir Beträge von 3.000,00 bis 15.000,00 EUR erlebt.

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AW3P: Die Anzahl Ihrer Gerichtsgutachten sind bestimmt nur sehr gering, oder?

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Rechtsanwalt Marc Hügel: Nach all den Jahren ist die absolute Zahl nicht mehr so gering. Ohne gerade die genaue Zahl zu kennen, sind in knapp 100 von uns betreuten Verfahren Gutachten von bestimmt einem Dutzend verschiedener öffentlich bestellter und gerichtlich vereidigter Gutachter erstattet worden. Das liegt an dem konkret verwendeten Ermittlungssystem. In unseren Fällen werden immer die Netzwerkmitschnitte des konkreten Vorfalls ausgewertet, vergleichbar mit einer B-Probe im Sport. Daher kann man kein one size fits all Gutachten erstellen und wiederverwerten. Aber in Relation zur Gesamtzahl der Klageverfahren ist der Anteil sicher gering.

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AW3P: Herr Rechtsanwalt Marc Hügel. Könnten Sie uns an einem fiktiven Gerichtsverfahren (1 Beklagter mit Rechtsbeistand, z. B. Streitgegenstand 1 Film) einmal darlegen, welche Kosten auf den Beklagten zukommen könnten im Gerichtsverfahren, bei Einholung eines Gerichtsgutachten (z. B. Funktionsweise der Software) und im Verlierfall (Störer und Täter) des Beklagten? Ich denke, dass hier viele Unklarheiten vorherrschen.

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Rechtsanwalt Marc Hügel: Eine „genaue“ Aufstellung ist ohne nähere Einzelheiten des Falles zwar nicht möglich. Klar ist aber, dass die Kosten eines Gutachtens die eigentliche Klageforderung regelmäßig um ein Vielfaches überschreiten. Anders gesagt: Ein Beklagter, der ohne die Einholung eines Gutachtens inkl. eigener Anwalts- und Gerichtskosten einen Betrag von rund 2.000,00 EUR zu tragen hätte, könnte bei Einholung eines Gutachtens eine Abschlussrechnung über das Dreifache präsentiert bekommen.

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AW3P: Summa summarum ist der Zustimmung zur Einholung eines Gerichtsgutachtens immer sinnvoll? Denn, wenn ich als beklagter Anschlussinhaber unschuldig bin, dann kann es sich nur um einen Zahlendreher, technischen Fehler oder gar Hackangriff handeln. Und vor allem beträgt die Fehlerhaftigkeit in der Beweiskette gemäß dem Landgericht Köln (Beschluss vom 25.09.2008, Az. 109-1/08), wörtlich: „Bei einigen Verfahren habe – so die Staatsanwaltschaft – die Quote der definitiv nicht zuzuordnenden IP-Adressen deutlich über 50 Prozent aller angezeigten Fälle gelegen, bei einem besonders eklatanten Anzeigenbeispiel habe die Fehlerquote sogar über 90 Prozent betragen“.

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Rechtsanwalt Marc Hügel: Leider wird hier mit einer Reihe veralteter bzw. aus dem Zusammenhang gerissener Informationen gearbeitet. Die vermeintlich „hohe“ Fehlerquote kann ich aus unserer täglichen Praxis nicht nachvollziehen. Sie ist schlichtweg falsch und wenn Sie so wollen eine weitere Geschichte aus dem Bereich der „P2P urban legends“. Im Gegenteil: Mir ist kein einziges gerichtliches Verfahren bekannt, in dem das eingeholte Gutachten einen entsprechenden Fehler zu Tage gefördert hätte. Daher kann ich nur sagen, dass – gerade angesichts der damit verbundenen Kosten – die Einholung eines Gutachtens regelmäßig wenig sinnvoll erscheint.

Die alte Kölner Gerichtsentscheidung beruhte übrigens auf einem ganz anderen, erkennbar unzutreffenden Gedankengang des Gerichts: Nachdem im dortigen Auskunftsverfahren zahlreiche Auskunftsanfragen nicht beantwortet werden konnten, da die Daten vom Provider bereits gelöscht waren, mutmaßte das Gericht, die Ermittlung sei wohl fehlerhaft gewesen – hier hat zum damaligen Zeitpunkt schlicht die Expertise gefehlt, über die die meisten Gerichte heute längst verfügen. Also gilt auch hier: Vergessen Sie diese Geschichte!

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AW3P: Gestatten Sie mir eine abschließende Frage, die das Thema Gerichtsgutachten nicht direkt betrifft. Es ist langsam Jahresende und zu einem Teil naht die möglich rettende Verjährung. Nach den „Experten“ der Forenwelt liegt die Klagewahrscheinlichkeit Ihrer Kanzlei bei nur ein Prozent. Lohnt es sich überhaupt seitens des Beklagten einen möglichen Vergleich zu suchen?

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Rechtsanwalt Marc Hügel: Die genannten Experten irren sich auch hier. Jeder muss im Endeffekt selbst entscheiden, ob er auf eine wenig greifbare Wahrscheinlichkeit vertraut, „ungeschoren“ davon zu kommen oder einen überschaubaren Abschluss sucht, den er (noch) kontrollieren kann. Aber ich bin wohl wirklich der falsche Adressat für diese Frage. Sie sollten diese all den Abgemahnten stellen, die sich auf eben jene Wahrscheinlichkeit verlassen haben und schlussendlich ein Gerichtsverfahren (womöglich inkl. Gutachten) durchlaufen mussten.

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AW3P: Ich bedanke mich bei der Münchener Kanzlei „Waldorf Frommer Rechtsanwälte“ und Herrn Rechtsanwalt Marc Hügel für die Beantwortung der Fragen. Ich hoffe, dass man etwas Licht ins Dunkel des Gerichtsgutachten gebracht hat, sowie Beklagte es sich reiflich überlegen ehe man zu schnell der Einholung zustimmt und ohne handfester Beweise ein unnötig hohes Kostenrisiko eingeht.

 

 

Steffen Heintsch für AW3P

 

 

 

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