.rka Rechtsanwälte Reichelt Klute GbR (Hamburg): Landgericht Leipzig weist Amtsgericht zurecht – Verkennen der Beweislast begründet einen erheblichen Verfahrensmangel – Kein technisches Gutachten im Filesharingfall

20:35 Uhr

Hamburg/ Leipzig (eig). Das Landgericht Leipzig hat auf die Berufung der Klägerin des dortigen Verfahrens eine Entscheidung des Amtsgerichts Leipzig aufgehoben, dass die Klage in einem Filesharingfall abgewiesen hatte. Die Klägerin hatte sich geweigert, einen Vorschuss von einigen tausend Euro für den technischen Sachverständigen einzuzahlen, der auf Grund eines Beweisbeschlusses des Amtsgerichts die Richtigkeit der Datenermittlung prüfen sollte.

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Rechtsanwalt Nikolai Klute
Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz

 

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Bericht

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LG Leipzig, Urteil vom 16.12.2016, Az. 05 S 332/16

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AG Leipzig, Urteil vom 11.05.2016, Az. 113 C 6992/14

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Im in Streit stehenden Fall gab es insgesamt acht Erfassungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten und mit unterschiedlichen IP-Adressen, teilweise aber an identischen Tagen. Das Amtsgericht sah die Klägerin als beweisfällig geblieben an und wies die Klage ab (AG Leipzig, Urt. v. 11.05.2016, Az. 113 C 6992/14). Auf die Berufung der Klägerin hat das Landgericht das Urteil des Amtsgerichts aufgehoben und den Rechtsstreit zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht Leipzig zurück verwiesen (LG Leipzig, Urt. v. 16.12.2016, Az. 05 S 332/16):

„Bereits in seinem Schriftsatz vom 19.11.2015 hatte der Klägervertreter auf die vorliegend streitgegenständliche Mehrfachermittlung des Internetanschlusses des Beklagten und die Rechtsprechung unter anderem des OLG Köln … hingewiesen. In diesen Fällen spricht nach der Lebenswahrscheinlichkeit eine tatsächliche Vermutung der Richtigkeit der Ermittlung. Gegenteiliges hat dieser (sic: der Beklagte) zu beweisen. Dieses Verkennen der Beweislast begründet einen erheblichen Verfahrensmangel.“

In der Folge war das Urteil des Amtsgerichts aufzuheben und der Rechtsstreit zur weiteren Entscheidung zurück zu verweisen. Für den Beklagten führt dies nun dazu, dass er seine sekundären Darlegungslasten im Sinne der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu erfüllen haben wird, auf die das Landgericht in seinem Urteil noch einmal ausdrücklich hingewiesen hat.

„Die Entscheidung macht deutlich, dass die Linie, die der Bundesgerichtshof in die Filesharingfällen fährt, über die Berufungsgerichte irgendwann auch bei den Amtsgerichten ankommt, die allein hohe Anforderungen an Vortrag und Beweislast der jeweiligen Kläger stellen. Dem ist bei weitem nicht so“, erläutert Rechtsanwalt Nikolai Klute von .rka Rechtsanwälte die Entscheidung, „denn tatsächlich hängen die Hürden nach den neuerlichen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs für die Beklagten deutlich höher, die sich entscheiden müssen, entweder die eigene Haftung hinzunehmen oder aber ihre Darlegungsverpflichtungen so zu erfüllen, dass damit – naturgemäß – das Risiko der Inanspruchnahme Dritter erheblich steigt.“

 

LG Leipzig, Urteil vom 16.12.2016, Az. 05 S 332/16

 

(…) Ausfertigung

Landgericht Leipzig

Zivilkammer

Aktenzeichen: 05 S 332116
Amtsgericht Leipzig, 113 C 6992/14

Verkündet am: 16.12.2016
[Name], Urkundsbeamter/in der Geschäftsstelle

IM NAMEN DES VOLKES

ENDURTEIL

In dem Rechtsstreit

[Name],
– Kläger und Berufungskläger –

Prozessbevollmächtigte: .rka Rechtsanwälte Reichen Klute, Johannes-Brahms-Platz 1, 20355 Hamburg,

gegen

[Name],
– Beklagter und Berufungsbeklagter –

Prozessbevollmächtigte: [Name],

wegen Urheberrecht

hat die 5. Zivilkammer des Landgerichts Leipzig durch Richterin am Landgericht Dr. [Name] als Einzelrichterin am 16.12.2016

für Recht erkannt:

1. Das Urteil des Amtsgerichts Leipzig vom 11.05.2016 – Az. 113 C 6992/14 – wird aufgehoben.
2. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Leipzig zurückgewiesen, dem auch die Entscheidung über die Kosten der Berufung vorbehalten bleibt.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen wird zunächst Bezug genommen auf das angefochtene Urteil des Amtsgerichts Leipzig vom 11.05.2016, BI. 167 ff. d. A..

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger die erstinstanzlich geltend gemachten Ansprüche weiter und begründet diese mit einer unrichtigen Rechtsanwendung und Mängeln der Tatsachenfeststellung durch das Amtsgericht, insbesondere dem Nichtbeachten der in der BGH-Rechtsprechung zu Tauschbörsen mitgeteilten Anforderungen an die Darlegung und den Beweis von Rechtsverletzungen der streitgegenständlichen Art. Insbesondere habe das Amtsgericht verkannt, dass sich aus der Vielzahl der ermittelten und dem Anschluss des Beklagten zugeordneten IP-Adressen nach der Lebenswahrscheinlichkeit keine Zweifel an der Richtigkeit der Zuordnung ergäben; der Beklagtenseite obliege in einem solchen Fall der Gegenbeweis. Die Beweislast sei verkannt geworden, der Beklagte für seine Behauptung, seine IP-Adresse würde sich nur einmal täglich ändern, beweisbelastet. Im Einzelnen wird auf den Schriftsatz vom 17.08.2016 Bezug genommen.

Der Berufungskläger hat beantragt,

1. unter Abänderung des am 11.05.2016 verkündeten Urteils des Amtsgerichts Leipzig (Az. 113 C 6692/14) wird der Beklagte verurteilt,

a) an den Kläger 350,00 Euro nebst jährlicher Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16.03.2011 zu zahlen,

b) an den Kläger einen weiteren Betrag über 58,65 Euro nebst jährlicher Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

c) an den Kläger 500,00 EUR nebst jährlicher Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16.03.2011 zu zahlen.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Der Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise das Verfahren an das Amtsgericht Leipzig zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Er hält unter Beweisantrag an der Behauptung, die Anschlussermittlung sei fehlerhaft erfolgt, fest und trägt ergänzend zur Nutzung des Internetanschlusses durch Dritte vor (Schriftsatz vom 29.09.2016).

Auf die Erörterung im Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 03.11.2016 wird Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden. Nach § 538 Abs. 2 S. 1 ZPO war das angegriffene Urteil des Amtsgerichts Leipzig aufzuheben und das Verfahren auf Hilfsantrag des Beklagten an das Amtsgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

1.

Das Amtsgericht ist rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dem Kläger obliege eine über die erfolgten, im Einzelnen bereits in der Anspruchsbegründung vom 25.07.2014 dargelegten Ermittlungen der IP-Adressen, über die das Computerspiel der Insolvenzschuldnerin zum Download angeboten wurde (Bl. 11 ff.), hinausgehende Beweislast. Darauf beruht der Beweisbeschluss vom 21.10.2015, in dem der Kläger als beweisbelastete Partei die Kosten für ein Sachverständigengutachten zur Zuordnung der festgestellten IP-Adressen zum Anschluss des Beklagten tragen sollte.

Bereits in seinem Schriftsatz vom 19.11.2015 hatte der Klägervertreter auf die vorliegend streitgegenständliche Mehrfachermittlung des Internetanschlusses des Beklagten und die Rechtsprechung unter anderem des OLG Köln (Beschluss vom 21.04.2011, Az. 6 W 58/11; Urteil vom 16.05.2012, NJW-RR 2012, 1327; BGH, IZR 19/14, Urteil vom 11.06.2015) hingewiesen. In diesen Fällen spricht nach der Lebenswahrscheinlichkeit eine tatsächliche Vermutung für die Richtigkeit der Ermittlung. Der Kläger hat eine Kette aus eidesstattlicher Versicherungen eines Mitarbeiters des Ermittlungsunternehmens [Name] der Angabe der Verletzungshandlung in Bezug auf eine mit einem bestimmten Hashwert benannte Datei ([Name]) mit dem Werk „[Name]“ über den bestimmten P2P-Client und die Zuordnung zu der jeweiligen IP-Adresse nebst Tatzeitpunkt nachgewiesen, ferner deren Zuordnung zum Internetanschluss des Beklagten im Verfahren nach § 101 Abs. 9 UrhG. In der Gesamtbetrachtung dieser Indizien bestehen keine Zweifel für das Begehen der streitgegenständlichen Verletzungshandlung über den Internetanschluss des Beklagten. Gegenteiliges hat dieser zu beweisen.

Dieses Verkennen der Beweislast begründet einen erheblichen Verfahrensmangel, da das erstinstanzliche Gericht auf Grund dieses Fehlers keine Grundlage für eine Entscheidung des Berufungsgerichts sein kann. Er ist auch ursächlich dafür, dass sich das Erstgericht mit der Frage, wer Täter der streitgegenständlichen Rechtsverletzung ist, gar nicht mehr befasst hat.

2.

Der Kläger nimmt den Beklagten als Täter, nicht als Störer in Anspruch. Der Beklagte hat bereits erstinstanzlich zu Dritten (Familienmitgliedern), die am 28.12.2010 Zugang zu seinem Internetanschluss hatten, vorgetragen (Schriftsatz vom 17.10.2014, S. 3). Der BGH hat in seiner neuesten Entscheidung vom 12.05.2016 (I ZR 48/15, bei Juris Rn. 32 ff.) zu den Anforderungen an die Annahme einer tatsächlichen Vermutung für eine Täterschaft des Anschlussinhabers (auch bei Nutzung des Anschlusses durch mehrere Familienangehörige) und zum Umfang der sekundären Darlegungslast in Bezug darauf, ob andere Personen als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kommen (a.a.O., Rn. 34, Rn. 50) umfassend ausgeführt. Das Amtsgericht wird, gegebenenfalls nach Beweiserhebung auf Antrag des Beklagten, zur Fehlerhaftigkeit der Ermittlung seines Internetanschlusses, zu prüfen haben, ob der Beklagte in diesem Sinne nachvollziehbar vorträgt, welcher der genannten Personen „mit Rücksicht auf Nutzerverhalten, Kenntnisse und Fähigkeiten sowie in zeitlicher Hinsicht Gelegenheit hatten, die fraglichen Rechtsverletzungen … zu begehen“. Nach dem schriftsätzlichen Vorbringen (zuletzt im Schriftsatz vom 29.08.2016) kommen verschiedene Dritte für eine Nutzung des Anschlusses im streitgegenständlichen Zeitraum ohne Wissen des Beklagten in Betracht. Damit könnte er seiner Nachforschungspflicht genügt haben; einen Täter muss er nicht präsentieren. Gegebenenfalls hat der Beklagte die zugrundeliegenden Tatsachen zu beweisen (Zeugenbeweis wurde angeboten). Es wäre dann Sache des Klägers, den Beweis zu führen, dass keiner der genannten Dritten die Rechtsverletzung begangen hat und die Vermutungswirkung wieder auflebt (Geständnisfixion). Verspätet ist der Vortrag des Beklagten nicht, da auf Grund der Sachbehandlung in der ersten Instanz der Prozessstoff nicht vollumfänglich erörtert worden ist (§ 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO).

Dr. [Name]
Richterin am Landgericht (…)

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LG Leipzig, Urteil vom 16.12.2016, Az. 05 S 332/16

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