Rechtsanwalt Dr. Bernhard Knies (München): Das Landgericht München I legt dem EuGH die Frage vor, ob die Handhabung des Schadensersatzanspruches beim Filesharing durch den BGH mit EU Recht vereinbar ist

11:38 Uhr

 

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Rechtsanwalt Dr. Bernhard Knies

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Bericht

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Mit Beschluss vom 17.03.2017 hat die 21. Zivilkammer des Landgericht München I dem EuGH die Frage vorgelegt, die man darauf zuspitzen kann, ob die aktuelle Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH), insbesondere im Verfahren „Afterlife“ (BGH I ZR 154/15) mit den Vorgaben des europäischen Rechts zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes bei Urheberrechtsverletzungen in Tauschbörsen noch vereinbar ist. Das ergibt sich aus einer Pressemitteilung des Landgericht München I vom 20.03.2017. Die 21. Zivilkammer des LG München I ist die Berufungskammer für Entscheidungen des Amtsgerichts München und hatte in der Vergangenheit maßgeblich zu der strengen und abmahnerfreundlichen Rechtsprechung in München beigetragen.

 

Die Vorlage ist nach dem „MacFadden“ Fall jetzt schon die zweite Vorlagefrage des LG München an den EuGH, wobei allerdings der „McFadden“ Fall von der 7. Kammer vorgelegt wurde.

 

Hintergrund des hier laufenden Rechtsstreits ist ein klassischer Filesharing Fall. Der Rechteinhaber, ein Hörbuchverlag hatte einen Anschlussinhaber über dessen Anschluss ein Hörbuch in einer Tauschbörse illegal verbreitet worden war, auf Erstattung der Abmahnkosten und Schadensersatz verklagt. Der Anschlussinhaber hatte bestritten, die Rechtsverletzung selber begangen zu haben und hatte sich damit verteidigt, dass auch seine Eltern Zugriff auf seinen Anschluss gehabt hätten.

 

Nach den aktuell vorliegenden Urteilsgründen der Entscheidung des BGH I ZR 154/15 – „Afterlife“ sieht das Landgericht nunmehr in Abweichung von seiner alten strikten Rechtsprechung keine Chance mehr, den Anschlussinhaber zu verurteilen. In der „Afterlife“ Entscheidung hatte der BGH einen neuen familienfreundlichen Maßstab bei der sekundären Darlegungslast formuliert und anders als früher das LG München I die Linie vertreten, dass der Anschlussinhaber keine zu weitgehenden Details aus seiner Familie preisgeben muss, um sich effektiv gegen eine Klage zu verteidigen. So muss er etwa keine Details zum Nutzerverhalten eines Ehegatten preisgeben und auch dessen Rechner nicht durchsuchen.

 

Es geht aber in seiner Argumentation noch einen Schritt weiter: Denn da von den ebenfalls zugriffsberechtigten Eltern ja lediglich bekannt sei, dass diese generell Zugriff auf den Anschluss ihres Sohnes hatten, bestehe auch hier kaum eine Chance für den Rechteinhaber seinen Schadensersatz zu erhalten. Das Landgericht will insofern vom EuGH wissen, ob die Rechtsprechung des BGH in Sachen „Afterlife“ noch mit den Vorgaben der Richtlinien 2001/29/EG, und 2004/48/EG, vereinbar ist, die ja einen effektive Rechtsschutz der Rechteinhaber garantieren sollen.

 

Die Vorlagefrage könnte möglicherweise Auswirkungen auf den vom BGH in der nächsten Woche am 30.03.17 zu verhandelnde „Loud“ Fall haben (BGH I ZR 19/16 – „Loud“), einen Fall der von unserer Kanzlei vorgetragen wird, und in dem es darum geht, ob Eltern verpflichtet sind, ihre Kinder einer Tat zu bezichtigen, wenn sie den – wie in diesem Fall – wissen, welches ihrer Kinder für die Urheberrechtsverletzung verantwortlich ist.

 

Die zwei Vorlagefragen, die das Landgericht München dem EuGH stellt lauten wie folgt:

 

  • Ist Art. 8 Absätze 1 und 2 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG so auszulegen, dass „wirksame und abschreckende Sanktionen bei Verletzungen des Rechts der öffentlichen Zugänglichmachung eines Werkes“ auch dann noch gegeben sind, wenn eine Schadensersatzhaftung des Inhabers eines Internetanschlusses, über den Urheberrechtsverletzungen durch Filesharing begangen wurden, ausscheidet, wenn der Anschlussinhaber mindestens ein Familienmitglied benennt, dem neben ihm der Zugriff auf diesen Internetanschluss möglich war, ohne durch entsprechende Nachforschungen ermittelte nähere Einzelheiten zu Zeitpunkt und Art der Internetnutzung durch dieses Familienmitglied mitzuteilen?
  • Ist Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/48/EG so auszulegen, dass „wirksame Maßnahmen zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums“ auch dann noch gegeben sind, wenn eine Schadensersatzhaftung des Inhabers eines Internetanschlusses, über den Urheberrechtsverletzungen durch Filesharing begangen wurden, ausscheidet, wenn der Anschlussinhaber mindestens ein Familienmitglied benennt, dem neben ihm der Zugriff auf diesen Internetanschluss möglich war, ohne durch entsprechende Nachforschungen ermittelte nähere Einzelheiten zu Zeitpunkt und Art der Internetnutzung durch dieses Familienmitglied mitzuteilen?

 

Das Landgericht München I möchte ausweislich des Vorlagebeschlusses offenbar gerne an seiner bisherigen Rechtsprechung festhalten, es notiert in dem Beschluss:

 

„Das vorlegende Gericht neigt dazu, eine Haftung des Beklagten als Täter für die behaupteten Urheberrechtsverletzungen deshalb anzunehmen, weil sich aus seinem Vortrag nicht ergibt, dass im Verletzungszeitpunkt eine dritte Person den Internetanschluss benutzt hat und deshalb ernsthaft als Rechtsverletzer in Betracht kommt. „

 

 

Dennoch hat das Landgericht München Zweifel, ob es diese Rechtsauffassung weiter vertreten kann, denn die neue „Afterlife“ Rechtsprechung des BGH steht einer solchen Argumentation eigentlich entgegen, das Landgericht schreibt hierzu:

 

„Das vorlegende Gericht sieht sich aber derzeit aus den nachfolgenden rechtlichen Gründen dazu gezwungen, die Regelung in Art. 8 Abs. 1, 2 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG und Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/48/EG, die hinsichtlich eines Schadensersatzanspruches für Urheberrechtsverletzungen mit § 97 UrhG ins deutsche Recht umgesetzt ist, dahingehend anzuwenden, dass ein privater Anschlussinhaber, der Familienangehörigen Zugriff auf seinen Internetanschluss bzw. sein WLAN gewährt, über den ein urheberrechtlich geschütztes Werk rechtswidrig öffentlich zugänglich gemacht wurde, für diese Rechtsverletzung nicht auf Schadensersatz haftet, wenn er mindestens ein Familienmitglied benennt, dem neben ihm der Zugriff auf diesen Internetanschluss möglich war, ohne durch entsprechende Nachforschungen ermittelte nähere Einzelheiten zu Zeitpunkt und Art der Internetnutzung durch dieses Familienmitglied mitzuteilen.“

 

 

Das LG München interpretiert diese Rechtsprechung des BGH letztlich so, dass ein Rechteinhaber in Filesharing Fällen quasi immer automatisch scheitert, wenn er ein anderes Familienmitglied als zugriffsberechtigten benennt, so dass für den Rechteinhaber quasi in dieser Konstellation keinerlei Chance mehr hätte seine Ansprüche durchzusetzen:

 

„Mit folgender erster Frage ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof um die Auslegung des Terminus „wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen“ bei Verletzungen des Rechts der öffentlichen Zugänglichmachung eines Werkes (Art. 8 Abs. 1, 2 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG). Dies deshalb, weil das vorlegende Gericht nach dem Wortsinn der Norm davon ausgeht, dass eine wirksame und abschreckende Sanktion in Gestalt einer Schadensersatzpflicht nicht gegeben ist, wenn diese dadurch ausgeschlossen werden kann, dass der Anschlussinhaber jedenfalls einen Familienangehörigen nennt, der neben ihm Zugriff auf den Anschluss hat; denn eine solche Handhabung führt im Ergebnis dazu, dass weder der Anschlussinhaber noch andere Familienangehörige für die fragliche Rechtsverletzung auf Schadensersatz haften, da der Rechteinhaber unter diesen Umständen mit seiner Klage gegen den Anschlussinhaber regelmäßig scheitert und hinsichtlich des benannten Familienangehörigen keinerlei konkreten Anhaltspunkt (tatsächliche Nutzung im Tatzeitpunkt, Art der Internetnutzung dieses Familienmitglieds etc.) hat, aufgrund dessen mit Aussicht auf Erfolg eine Schadensersatzklage angestrengt werden kann.“

 

Liest man die „Afterlife“ Entscheidung des BGH allerdings im Zusammenhang mit der Entscheidung I ZR 48/15 „Every time we touch“, die ja einen plausiblen Sachvortrag des Abgemahnten fordert, dann wird schnell klar, dass das Landgericht München mit seiner Vorlagefrage wohl nicht präzise genug ist. Denn wenn der abgemahnte Beklagte keinen plausiblen alternativen Geschehensablauf liefert, muss er nach dieser Entscheidung verlieren. Dann aber ergibt auch die Vorlage an den EuGH eigentlich keinen Sinn.

 

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Pressemitteilung LG München I:
https://www.justiz.bayern.de/gericht/lg/m1/presse/archiv/2017/05686/index.php

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