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… informiert über ein aktuelles (Baumgarten und Brandt-) Berufungsverfahren vor dem Landgericht Bielefeld. In den auszugsweise veröffentlichten Entscheidungen des Amtsgericht Bielefeld (Urt. v. 07.05.2015, Az. 42 C 416/14) und dem Hinweisbeschluss des Landesgericht Bielefeld (Beschl. v. 05.01.2016, Az. 20 S 182/15), unternimmt der Gerichtsstandort eine neue Interpretation des Paragrafen 102 des Urhebergesetzes.
Die fehlerhafte Argumentation des Amtsgericht Bielefeld ist dabei nicht neu und deckt sich dabei mit einigen anderen Erstgerichten, wie zum Beispiel Frankenthal.
AG Bielefeld, Urteil vom 07.05.2015, Az. 42 C 416/14:
„Die Verjährungsfrist beträgt drei Jahre. Die dreijährige Verjährungsfrist gilt auch für den Schadensersatzanspruch.
Die Voraussetzungen einer 10-jährigen Verjährungsfrist gemäß §§ 102 Satz 2 UrhG, 852 BGB liegen nicht vor. Nach diesen Vorschriften unterliegen diejenigen Ansprüche einer längeren Verjährung als drei Jahre, die auf die Herausgabe deliktisch Erlangten zielen. Dies kann die ersparte Lizenzgebühr sein. Für den Fall, dass ein legaler Erwerb durch Zahlung von Lizenzgebühren mögliche ist, hat der BGH diesen Fall bereits entschieden („Bochumer Weihnachtsmarkt“, BGH, Urteil vom 27.10.2011, I ZR 175/10, BeckRS 2012, 09457).
Filesharing-Fälle unterscheiden sich jedoch davon grundlegend. Es besteht keine Möglichkeit, einen entsprechenden Lizenzvertrag abzuschließen.
Der Beklagte hat mithin gerade keine Lizenzgebühr für einen möglichen Lizenzvertrag erspart. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass es Benutzern von Filesharing-Systemen darauf ankommt, die fragliche Datei zum eigenen Gebrauch für sich herunterzuladen und zu nutzen. Dass damit notwendigerweise auch verbunden ist, das während des eigenen Uploadvorganges gleichzeitig Dritten ein Download der übertragenen Dateifragmente vom eigenen Computer ermöglicht wird, ist eine notwendige Folge, die die Nutzer der Filesharingbörsen billigend in Kauf nehmen. Insoweit liegt jedoch gerade kein bewusster Eingriff in den Zuweisungsgehalt der von der Klägerin wahrgenommenen Rechte vor.“
Nun weiß ich nicht aus welchen Gründen heraus, versucht sich die Berufungskammer das Landesgericht Bielefeld an eine gänzlich neue Auslegung des § 102 für Filesharing-Fälle.
LG Bielefeld, Hinweisbeschluss vom 05.01.2016, Az. 20 S 182/15:
„Entgegen der Ansicht der Berufung sind dagegen die Bestimmungen der §§ 102 S. 2 UrhG, 852 BGB insbesondere nicht auf den Schadensersatzanspruch nach der Lizenzanalogie anzuwenden. (…) Der hier geltend gemachte Schadensersatzanspruch der Klägerin ist jedoch nicht auf die Herausgabe einer durch die Verletzung des Urheberrechts erlangten Bereicherung gerichtet. (…) Aus einem Vergleich von § 102 S. 1 UrhG mit § 102 S. 2 UrhG ergibt sich jedoch, das sich die lange Verjährungsfrist des Satzes 2 i.V.m. 852 BGB nur rechtfertigt, wenn sich ein echter Vermögensvorteil als „Mehr“ gegenüber der Verletzungshandlung nach Satz 1, hier dem bloßen unberechtigten Gebrauch, gegeben ist.“
Ob richterlich verfehlt oder Befangen oder beides, oder einfach nur Willkür – ich weiß es nicht.
„Aus einem Vergleich von § 102 S. 1 UrhG mit § 102 S. 2 UrhG ergibt sich jedoch, das sich die lange Verjährungsfrist des Satzes 2 i.V.m. 852 BGB nur rechtfertigt, wenn sich ein echter Vermögensvorteil als „Mehr“ gegenüber der Verletzungshandlung nach Satz 1, hier dem bloßen unberechtigten Gebrauch, gegeben ist.“
Selbst bei mehrfachen Lesen dieser Aussage der Bielefelder Landesrichter wird sie nicht richtiger oder einleuchtender. Dabei ist es doch eigentlich gar nicht so schwer.
Der § 102 Satz 2 UrhG ist eindeutig. Schadensersatzansprüche als bereicherungsrechtliche Herausgabeansprüche gem. § 102 S. 2 UrhG i.V.m. § 852 BGB verjähren frühestens innerhalb von zehn Jahren ab ihrer Entstehung (vgl. BGH, Urteil v. 24.11.1981, X ZR 7/80 „Kunststoffhohlprofil II“; BGH, Urteil v. 15.01.2015, I ZR 148/13 „Motorradteile“; BGH, Urteil v. 27.10.2011, I ZR 175/10, Rn. 37 bis 40 „Bochumer Weihnachtsmarkt“; BGH, Urteil v. 11.06.2015, I ZR 7/14 – „Tauschbörse II“; LG Frankfurt am Main, Urteil v. 08.07.2015, 2-06 S 21/14; LG Köln, Beschluss v. 21.07.2015, 14 S 30/15).
Im gesamten Urheberrecht geltende Grundsätze zur Verjährung – wie auch alle anderen Regelungen – für alle Rechtsverletzungen,
- egal, ob online oder offline begangen,
- egal, ob es sich um ein Foto, ein Musikstück oder eine andere Werkgattung handelt,
- egal, in welches Recht eingegriffen wird,
- Vervielfältigung (§ 16 UrhG),
- Verbreitung (§ 17 UrhG),
- öffentlicher Zugänglichmachung (§ 19a UrhG) etc.
Im Rahmen des bereicherungsrechtlichen Herausgabeanspruchs (§ 102a UrhG i.V.m. §§ 812 ff. BGB) ist das „erlangte Etwas“ i.S.d. § 812 BGB,
- nicht der Download,
- nicht der ersparte Kaufpreis für einen Download,
- nicht die ersparte Lizenzvergütung,
- sondern der Gebrauch des Rechts als solcher, ohne rechtlichen Grund und auf Kosten eines anderen.
Dieser Wert (Restschadenersatzanspruch bzw. Wertersatzanspruch) ist herauszugeben. Ist es nicht möglich, hat der Verletzte die freie Wahl der Berechnung aus drei Möglichkeiten gemäß § 97 Abs. 2 UrhG. Dabei wird in der Regel immer die Lizenzanalogie gewählt.
Kurz und knapp:
Derjenige, der ein Recht nutzt, erlangt dadurch den Gebrauch dieses Rechts (also hier des Rechts der öffentlichen Zugänglichmachung) und erspart sich die Lizenz, die ein Lizenznehmer üblicherweise verlangen könnte, wenn er dem Gebrauch des Rechts vorher zugestimmt hätte.
Wenn jetzt jemand meint, ich hätte keine Ahnung, da ich nicht Jura studiert habe, sollte einmal in seinem Material für Studium und Examen nachschauen.
Hemmer / Wüst / Gold / d’Alquen
Bereicherungsrecht
Das Prüfungswissen für Studium und Examen
14. Auflage, 2014
Rn 106, 113Gebrauchs- und Nutzungsvorteil = Bereicherungsgegenstand
„Erlangt ist schon die bloße Gebrauchsmöglichkeit als Vermögenswert, so dass § 812 BGB bejaht wird.“
„Es ist dabei nicht erforderlich, dass es sich bei dem Bereicherungsgegenstand um ein gegenständlich „fassbares Etwas“ handelt. „
Sicherlich werden viele „Experten“ die Entscheidung des Gerichtsstandortes Bielefeld begrüßen und bejahen. Besser wäre es aber, wenn man Bestehendes bundesweit einheitlich anwendet und nicht willkürlich Neues erfindet.
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Steffen Heintsch für AW3P
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