Waldorf Frommer Rechtsanwälte (München): Tauschbörsenverfahren vor dem Amtsgericht Oldenburg – Nachforschungen sind auch im Familienverbund zumutbar und erforderlich (BGH-Entscheid „Afterlife“)

09:44 Uhr

Gegenstand des Verfahrens: Illegales Tauschbörsenangebot urheberrechtlich geschützter Filmaufnahmen. Die vor dem Amtsgericht Oldenburg in Anspruch genommene Beklagte hatte eine eigene Verantwortlichkeit für den illegalen Upload eines Filmwerks bestritten und darauf verwiesen, zur damaligen Zeit über keinen eigenen Computer verfügt zu haben. Tauschbörsen seien ihr allgemein nicht bekannt gewesen. Im Übrigen seien ihr Ehemann, ihr volljähriger Sohn sowie dessen Freundin, welche selbstständigen Zugriff auf den Internetanschluss gehabt hätten, zum Verletzungszeitpunkt zu Hause gewesen. Eine Tatbegehung hätten jedoch alle auf Nachfrage abgestritten. Auf die Ausführungen der Klägerin zu ihrer Aktivlegitimation, den Ermittlungen der Rechtsverletzung und der Zuordnung zum Internetanschluss der Beklagten hatte sie sich mit Nichtwissen erklärt.

 

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Bericht

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Urteil als PDF:

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https://news.waldorf-frommer.de/wp-content/uploads/2017/05/AG_Oldenburg_4_C_4486_16_IV.pdf

Autorin:

Rechtsanwältin Anamaria Scheunemann

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Das Amtsgericht Oldenburg bestätigte zunächst, dass ein einfaches Bestreiten mit Nichtwissen angesichts substantiierter Ausführungen nicht geeignet ist, die Aktivlegitimation, die Ermittlungen und die Zuordnung streitig zu stellen.

Weiterhin führte das Amtsgericht Oldenburg aus, dass es einem Anschlussinhaber im Rahmen der sekundären Darlegungslast obliege, konkret zur Situation im Verletzungszeitpunkt vorzutragen und darzulegen, wer als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kommt. In diesem Umfang sei ein Anschlussinhaber zu Nachforschungen innerhalb der eigenen Sphäre verpflichtet. Der Verweis auf die bloß theoretische Möglichkeit des Zugriffs weiterer Anschlussnutzer genüge daher nicht.

Diese Grundsätze gälten auch bei Familienanschlüssen. Zwar seien auf Seiten eines Anschlussinhabers die Grundrechte gemäß Art. 7 EU-Grundrechtscharta und Art. 6 Abs. 1 GG zu berücksichtigen, die das ungestörte eheliche und familiäre Zusammenleben vor staatlicher Beeinträchtigung schützten. Im Gegenzug sei auf Seiten der Rechteinhaber jedoch zu beachten, dass auch deren „urheberrechtliche Position unter den grundrechtlichen Schutz des Art. 17 Abs. 2 EU-Grundrechtscharta und des Art. 14 Abs. 1 GG fällt.“

Dieser „Konflikt zwischen grundrechtlich geschützten Positionen verschiedener Grundrechtsträger [ist] nach dem Grundsatz praktischer Konkordanz zu lösen, der fordert, dass nicht eine widerstreitende Rechtsposition bevorzugt und maximal behauptet wird, sondern alle einen möglichst schonenden Ausgleich erfahren.“

Unter Beachtung dieser Grundsätze sei die Beklagte ihrer sekundären Darlegungslast nicht ausreichend nachgekommen. Insbesondere seien ihr konkrete Angaben zur Situation im Verletzungszeitpunkt zumutbar gewesen. Insoweit sei „bei lebensnaher Betrachtung davon auszugehen, dass es aufgrund des in der Anspruchsbegründung, enthaltenen Vorwurfs zu Nachforschungen und Gesprächen innerhalb der Familie der Beklagten über die Situation im Verletzungszeitpunkt gekommen ist. Warum es angesichts dessen jetzt nicht mehr möglich ist, näher vorzutragen, hat sie [die Beklagte] nicht dargelegt.“

Das Amtsgericht verurteilte die Beklagte daher antragsgemäß zur Zahlung von Schadenersatz, zum Ersatz der außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten sowie zur Übernahme der gesamten Kosten des Rechtsstreits.

 

AG Oldenburg, Urteil vom 30.03.2017, Az. 4 C 4486/16 (VI)

 

(…) – Abschrift –

Amtsgericht
Oldenburg

4 C 4486/16 (IV)

Verkündet am 30.03.2017
[Name], Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

Im Namen des Volkes

Urteil

In dem Rechtsstreit

[Name],
Klägerin

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte Waldorf Frommer,

gegen

[Name],
Beklagte

Prozessbevollmächtigte: [Name],

hat das Amtsgericht Oldenburg auf die mündliche Verhandlung vom 02.03.2017 durch die Richterin am Amtsgericht [Name]

für Recht erkannt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 600,00 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.02.2016 zu zahlen,
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 432,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.2.2016 zu zahlen.
3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung der Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn die Klägerin nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages leistet.
5. Der Streitwert wird in Höhe von 1.032,00 EUR festgesetzt

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Zahlung von Schadensersatz und die Erstattung von vorgerichtlichen Abmahnkosten wegen einer Urheberrechtsverletzung.

Im Auftrag der Klägerin stellte die ipoque GmbH (bzw. seit dem 01.09.2015 die Digital Forensics GmbH) mittels der Software Peer-to-Peer-Forensic-System fest, dass es am [Datum] in der Zeit von [Uhrzeit] Uhr bis [Uhrzeit] Uhr über die IP-Adresse [IP] jeweils zu einer Rechtsverletzung in Bezug auf die TV-Folgen [Name] und [Name] gekommen ist.

Diese wurden in einer Tauschbörse vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht, ohne dass die Klägerin die Berechtigung dazu erteilt hatte. Nach Durchführung eines Auskunftsverfahrens vor dem Landgericht Köln teilte der für die Internetadresse zuständige Provider, [Name] mit, dass der Internetanschluss in dem festgestellten Zeitpunkt der Beklagten zugeordnet gewesen sei.

Mit anwaltlichem Schreiben vom [Datum] mahnte die Klägerin die Beklagte wegen der streitigen Urheberrechtsverletzungen ab. Die Beklagte gab daraufhin eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab.

Die Klägerin behauptet,
sie sei für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ermächtigt, bei Rechtsverletzungen im Internet in Bezug auf die beiden Folgen der Serie [Name] Ansprüche auf Schadensersatz etc. im eigenen Namen und auf eigene Rechnung geltend zu machen. Die Herstellerin der Filme, die [Name], die auch im Urheber- bzw. Herstellervermerk als Rechteinhaberin genannt sei, habe sie mit Schreiben vom [Datum] dazu ermächtigt.

Die Ermittlungen der ipoque GmbH seien ordnungsgemäß und zuverlässig gewesen. Eine mehrfache Falschzuordnung, die jeweils zufällig zu dem gleichen Ergebnis führe, liege jenseits aller Wahrscheinlichkeit.

Ihr stehe aufgrund der Rechtsverletzungen, für die die Beklagte aufgrund der tatsächlichen Vermutung als Anschlussinhaberin hafte, ein Anspruch auf Schadensersatz und auf Ersatz der durch die Abmahnung bedingten Rechtsanwaltskosten zu. Die Beklagte habe im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast die Vermutung nicht entkräftet.

Als Schadensersatz sei im Wege der Lizenzanalogie ein Betrag in Höhe von mindestens 600,00 EUR festzusetzen. Die Abmahnkosten seien ausgehend von einem Gegenstandswert in Höhe von 8.000,00 EUR und einer einfachen Geschäftsgebühr samt Auslagenpauschale in Höhe von 432,00 EUR in Ansatz zu bringen.

Die Klägerin beantragt,
1.) die Beklagte zu verurteilen, an sie einen angemessenen Schadensersatz, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, der jedoch insgesamt nicht weniger als 600,00 EUR betragen soll, zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.02.2016 zu zahlen,
2.) die Beklagte zu verurteilen, an sie 432,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.02.2016 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie behauptet,
sie habe die vorgeworfene Urheberrechtsverletzung weder selbst begangen, noch durch Dritte begehen lassen.

Sie habe noch nie eine Folge der Serie [Name] gesehen. Sie habe auch nicht die streitgegenständlichen Folgen heruntergeladen oder öffentlich zugänglich gemacht. Ihr sei weder der Begriff des „Filesharing“ noch, dass dieses rechtswidrig sei, geläufig. Entsprechendes gelte für die technischen Abläufe, Voraussetzungen etc., die für Filesharing erforderlich seien. Sie habe auch keinen eigenen Computer. Wenn sie kurzzeitig Zugang zum Internet haben wollte, habe sie den Computer ihres Ehemanns genutzt. Sie habe sich erst im Juli 2014 ein privates Tablet angeschafft, um damit im Internet zu surfen. Ihre private E-Mail-Korrespondenz habe sie über den Computer an ihrer Arbeitsstelle abgewickelt. Sie nutze das Internet hauptsächlich für die Buchung von Reisen und das Lesen von Urlaubsberichten. Zu der ermittelten Uhrzeit habe sie es aber regelmäßig nicht mehr genutzt, da sie und ihr Ehemann gegen 22.00 Uhr / 22.30 Uhr schlafen gingen.

Zum Tatzeitpunkt seien auch ihr Ehemann, Herr [Name], ihr volljähriger Sohn [Name], sowie dessen damalige Freundin [Name] zu Hause gewesen. Sie hätten aufgrund ihrer Erlaubnis selbstständigen Zugang zu dem Heimnetzwerk gehabt. Sie hätten auch jeweils über einen eigenen Computer und / oder Laptop verfügt, die mit dem Internetanschluss verbunden gewesen seien. Ihr Ehemann habe seinen Computer in erster Linie für seinen E-Mail-Verkehr und für Fotobearbeitung genutzt. Zeitweise habe er auch bei Amazon Einkäufe getätigt. Er wäre auch in der Lage gewesen, sich in die erforderlichen technischen Abläufe für die Vornahme von Filesharing einzuarbeiten. Frau [Name], die sehr häufig bei ihnen zu Besuch gewesen sei, habe immer den Laptop ihres Sohnes genutzt. Ihr Sohn und seine Freundin hätten im Internet vornehmlich gespielt, Videos bei YouTube geschaut oder Shopping betrieben. Sie seien auch noch regelmäßig um 23.00 Uhr wach gewesen. Ihr Sohn hätte damals auch über die erforderlichen technischen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, um Filesharing betreiben zu können.

Alle drei kämen deshalb ernsthaft als Täter der Urheberrechtsverletzung in Betracht. Sie wisse nicht, ob einer der Genannten die Rechtsverletzung begangen habe. Auf ihre Nachfrage hätten sie ihr jedoch ernsthaft versichert, über den Anschluss kein Filesharing betrieben zu haben.

Sie hafte auch nicht als Störerin, da sie gegenüber ihren volljährigen Familienmitgliedern nicht zu Hinweisen oder zur Überwachungen verpflichtet gewesen sei. Sie habe vor der Abmahnung der Klägerin auch noch nie eine entsprechende Abmahnung erhalten.

Die geltend gemachten Forderungen seien vollkommen überhöht. Es sei schadensmindernd zu berücksichtigen, dass die behauptete Rechtsverletzung nur 20 Minuten gedauert habe.

Hilfsweise bestreite sie die Rechtsinhaberschaft der Klägerin in Bezug auf das streitgegenständliche Werk mit Nichtwissen. Es sei weiterhin davon auszugehen, dass die ermittelte IP-Adresse nicht ihrem Anschluss zuzuordnen sei. Bei der behaupteten Ermittlung von IP-Adressen handele es sich um einen fehleranfälligen Vorgang. Insoweit sei auch zu berücksichtigen, dass gleichzeitig zwei Folgen der streitigen Serie zum Download angeboten worden sein sollen. Dieses sei technisch nicht möglich. Sofern das Angebot zum Download während des Anschauens einer Folge erfolgt sei, könne nicht gleichzeitig eine weitere Folge angeboten werden.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Klägerin steht ein Anspruch auf Schadensersatz gemäß §§ 97 UrhG, 823 BGB und auf Erstattung der durch die vorgerichtliche Abmahnung vom 3.6.2013 veranlassten Rechtsverfolgungskosten gemäß § 97 a UrhG in jeweils ausgeurteilter Höhe gegen die Beklagte zu.

Die Klägerin ist aktiv legitimiert. Die Beklagte ist dem substantiierten Vortrag der Klägerin, dass die [Name] Herstellerin der beiden Folgen der TV Serie [Name] und [Name] ist und infolgedessen die ausschließlichen Nutzungs- und Verwertungsrechte an den beiden Filmwerken hält und die Klägerin mit schriftlicher Erklärung vom [Datum] ermächtigt hat, im eigenen Namen und auf eigene Rechnung Rechtsansprüche wegen Rechtsverletzungen aufgrund einer rechtswidrigen Verwertung der Filmwerke im Internet über P2P-Netzwerke (sogen. Internettauschbörsen ) geltend zu machen, nicht in erheblicher Weise entgegen getreten. Das Bestreiten der Anspruchsinhaberschaft ist deshalb nach § 138 Abs.3 ZPO nicht beachtlich.

Entsprechendes gilt für das Bestreiten, dass die ermittelte IP-Adresse im Zeitpunkt der vorliegenden Rechtsverletzungen am [Datum] in der Zeit von [Uhrzeit] Uhr bis [Uhrzeit] Uhr nicht dem Internetanschluss der Beklagte zuzuordnen war. Aufgrund des detaillierten Vortrages der Klägerin und insbesondere des Umstandes, dass es vorliegend zur mehrfachen Ermittlung des Anschlusses der Beklagten gekommen ist, ist davon auszugehen, dass die Feststellungen der ipoque GmbH zuverlässig und ordnungsgemäß gewesen sind.

Die Klägerin haftet als Täterin für die streitigen Urheberrechtsrechtsverletzungen. Gegen sie spricht als Inhaberin des Internetanschlusses eine tatsächliche Vermutung.

Wie das Gericht bereits im Hinweisbeschluss vom 17.01.2017 ausgeführt hat, trägt die Klägerin nach allgemeinen Grundsätzen die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs auf Schadensersatz erfüllt sind. Sie hat darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen, dass die Beklagte für die von ihr behauptete Rechtsverletzung verantwortlich ist. Es spricht aber eine tatsächliche Vermutung für eine Täterschaft des Anschlussinhabers, wenn zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung keine anderen Personen den Internetanschluss nutzen konnten (zuletzt BGH, Urteil vom 06.10.2016 – I ZR 154/15 – „Afterlife“ m.w.N.).

Eine die tatsächliche Vermutung ausschließende Nutzungsmöglichkeit Dritter ist anzunehmen, wenn der Internetanschluss zum Verletzungszeitpunkt nicht hinreichend gesichert war oder bewusst anderen Personen zur Nutzung überlassen wurde. In solchen Fällen trifft den Inhaber des Internetanschlusses jedoch eine sekundäre Darlegungslast, da es sich bei der Nutzung des Anschlusses um Interna des Anschlussinhabers handelt, von denen der Urheberrechtsberechtigte im Regelfall keine Kenntnis hat. Diese führt weder zu einer Umkehr der Beweislast noch zu einer über die prozessuale Wahrheitspflicht und Erklärungslast hinausgehenden Verpflichtung des Anschlussinhabers, dem Anspruchsteller alle für seinen Prozesserfolg benötigten Informationen zu verschaffen. Die Bestimmung der Reichweite der dem Anschlussinhaber obliegenden sekundären Darlegungslast hat vielmehr mit Blick darauf zu erfolgen, dass erst die Kenntnis von den Umständen der Anschlussnutzung durch den Anschlussinhaber dem Verletzten, dessen urheberrechtliche Position unter dem grundrechtlichen Schutz des Art. 17 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta und des Art. 14 Abs. 1 GG steht, die Verfolgung einer Rechtsverletzung ermöglicht.

Der Anschlussinhaber genügt seiner sekundären Darlegungslast dadurch, dass er vorträgt, ob anderen Personen und gegebenenfalls welchen anderen Personen selbstständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kommen. In diesem Umfang ist der Anschlussinhaber im Rahmen des Zumutbaren zu Nachforschungen sowie zur Mitteilung verpflichtet, welche Kenntnisse er dabei über die Umstände einer eventuellen Verletzungshandlung gewonnen hat. Die pauschale Behauptung der bloß theoretischen Möglichkeit des Zugriffs von im Haushalt lebenden Dritten auf den Internetanschluss genügt hierbei nicht, sondern es kommt auf die Situation im Verletzungszeitpunkt an. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass auf Seiten des Anschlussinhabers die Grundrechte gemäß Art. 7 EU-Grundrechtecharta und Art. 6 Abs. 1 GG das ungestörte eheliche und familiäre Zusammenleben von staatlichen Beeinträchtigungen schützen. Diese Grundrechte verpflichten den Staat, Eingriffe in die Familie zu unterlassen und berechtigt die Familienmitglieder, ihre Gemeinschaft nach innen in familiärer Verantwortlichkeit und Rücksicht frei zu gestalten. Werden dem Anschlussinhaber zur Abwendung seiner täterschaftlichen Haftung im Rahmen der sekundären Darlegungslast Auskünfte abverlangt, die das Verhalten seines Ehegatten oder seiner Kinder betreffen und diese dem Risiko einer zivil- oder strafrechtlichen Inanspruchnahme aussetzen, ist der Schutzbereich dieser Grundrechte berührt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der Konflikt zwischen grundrechtlich geschützten Positionen verschiedener Grundrechtsträger nach dem Grundsatz praktischer Konkordanz zu lösen, der fordert, dass nicht eine der widerstreitenden Rechtspositionen bevorzugt und maximal behauptet wird, sondern alle einen möglichst schonenden Ausgleich erfahren. Die Berücksichtigung des für die Klägerin sprechenden Eigentumsschutzes und der zugunsten des Anschlussinhabers wirkende grundrechtliche Schutz von Ehe und Familie führen dazu, dass es dem Inhaber eines privaten Internetanschlusses nicht zumutbar ist, die Internetnutzung seines Ehegattens einer Dokumentation zu unterwerfen, um im gerichtlichen Verfahren seine täterschaftliche Haftung abwenden zu können. Es ist ebenfalls unzumutbar, dem Anschlussinhaber die Untersuchung des Computers seines Ehegatten im Hinblick auf die Existenz von Filesharing Software abzuverlangen. Der Anschlussinhaber ist jedoch in Bezug auf seine eigene Internetnutzung verpflichtet, vorzutragen, ob auf dem von ihm genutzten Computer Filesharing Software vorhanden ist.

Entspricht der Beklagte seiner sekundären Darlegungslast, ist es wieder Sache der Klägerin als Anspruchssteller, die Haftung der Beklagten als Täter einer Urheberrechtsverletzung sprechenden Umstände darzulegen und zu nachzuweisen (BGH a.a.0.).

Genügt der Anschlussinhaber der ihm obliegenden sekundären Darlegungslast hinsichtlich der Nutzung des Anschlusses durch Dritte nicht, kommt jedoch die Annahme der täterschaftlichen Haftung des Anschlussinhabers in Betracht, auch wenn gegen diesen insoweit kein Beweis des ersten Anscheins spricht, da es für die Annahme, dass der Inhaber eines Internetanschlusses ohne das Hinzutreten weiterer Umstände regelmäßig der Täter einer mittels dieses Anschlusses begangenen Urheberrechtsverletzung ist, an der hinreichenden Typizität des Geschehensablaufs für die Annahme eines Anscheinsbeweises fehlt. Es besteht angesichts der naheliegenden Möglichkeit, dass der Anschlussinhaber Dritten Zugriff auf seinen Anschluss einräumt, für die Annahme der Täterschaft des Anschlussinhabers keine hinreichend große Wahrscheinlichkeit (BGH a.a.O.; Urteil vom 12.6.2015 I ZR 48/15 – „Everytime we touch“ -).

Nach diesen Vorgaben hat die Beklagte ihrer sekundären Darlegungslast nicht genügt. Sie hat lediglich pauschal vorgetragen, dass ihr Ehemann und ihr Sohn als ihre Familienangehörigen und die damalige Freundin ihres Sohnes bei ihren Besuchen in ihrem Haushalt Zugriff auf ihren Internetanschluss hatten. Wer konkret im Verletzungszeitpunkt Zugriff hatte, ist ihrem Vortrag jedoch nicht zu entnehmen. Allein ihr Vortrag, dass sie und ihr Ehemann regelmäßig um 22.00 Uhr / 22.30 Uhr zu Bett gehen würden und ihr Sohn und dessen Freundin auch zu entsprechend später Stunde den Anschluss noch nutzen würden, reicht nicht aus. Ihr sind auch konkrete Angaben zu der Situation im Verletzungszeitpunkt zumutbar gewesen, auch wenn zwischen dem Verletzungszeitpunkt und der Einleitung des Mahnverfahrens durch die Klägerin ein längerer Zeitraum vergangen ist. Die Beklagte hat zeitnah zu der behaupteten Urheberrechtsverletzung vom [Datum] am Anfang Juni 2016 eine Abmahnung der Klägerin erhalten und daraufhin eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben. Sie hat auch angegeben, dass es sich um die erste Abmahnung dieser Art gehandelt hat. Es ist deshalb bei lebensnaher Betrachtung davon auszugehen, dass es aufgrund des in der Abmahnung enthaltenen Vorwurfs zu Nachforschungen und Gesprächen innerhalb der Familie der Beklagten über die Situation im Verletzungszeitpunkt gekommen ist. Warum es ihr angesichts dessen jetzt nicht mehr möglich ist, näher dazu vorzutragen, hat sie nicht dargelegt. Die Beklagte hat auch keine Angaben dazu gemacht, ob auf dem von ihr mitbenutzten Computer ihres Ehemanns Filesharingsoftware oder die streitigen Dateien vorhanden waren. Insbesondere hat sie auch angeführt, dass ihr alle Mitbenutzer ernsthaft gegenüber versichert hätten, für die Urheberrechtsverletzungen nicht verantwortlich zu sein, so dass sie bereits nach ihrem Vortrag eine Täterschaft dieser Dritten ausschließt. Sie hat auch keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen, warum diese Angaben nicht zutreffend sein sollten.

Den der Klägerin aufgrund der Urheberrechtsverletzung entstandenen Schaden schätzt das Gericht nach Maßgabe des § 287 ZPO unter Berücksichtigung der detaillierten Ausführungen der Klägerin zur Werthaltigkeit des streitigen Filmwerks auf insgesamt 600,00 EUR.

Weiterhin steht der Klägerin ein Anspruch auf Erstattung der durch die Abmahnung veranlassten Kosten zu. Die Abmahnung ist berechtigt gewesen. Der Klägerin stand im Zeitpunkt der Abmahnung ein Anspruch auf Unterlassung gegen die Beklagte zu.

Diese sind nach der zutreffenden Berechnung der Klägerin, der sich das Gericht anschließt, in Höhe von 432,00 EUR anzusetzen.

Die Zinsentscheidung folgt aus §§ 286, 288 BGB.

Die prozessualen Nebenentscheidungen stützen sich auf §§ 91, 708 Nr.11, 711 ZPO.

Rechtsbehelfsbelehrung

Diese Entscheidung kann mit der Berufung angefochten werden. Sie ist einzulegen innerhalb einer Notfrist von einem Monat bei dem

Landgericht Oldenburg,
Elisabethstraße 7,
26135 Oldenburg.

Die Frist beginnt mit der Zustellung der in vollständiger Form abgefassten Entscheidung. Die Berufung ist nur zulässig, wenn der Beschwerdegegenstand 600,00 EUR übersteigt oder das Gericht die Berufung in diesem Urteil zugelassen hat. Zur Einlegung der Berufung ist berechtigt, wer durch diese Entscheidung in seinen Rechten beeinträchtigt ist.
Die Berufung wird durch Einreichung einer Berufungsschrift eingelegt. Die Berufung kann nur durch einen Rechtsanwalt eingelegt werden.

[Name],
Richterin am Amtsgericht (…)

 

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AG Oldenburg, Urteil vom 30.03.2017, Az. 4 C 4486/16 (VI)

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