S.O.S.! Abmahnung: Landgericht Berlin – Ortsabwesenheit zum Tatzeitpunkt lässt Haftung entfallen

21:27 Uhr

Die 16. Zivilkammer des Landgerichts Berlin hat in einem von uns auf Beklagtenseite geführten Verfahren durch Urteil vom 15.03.2016 (Az. 16 S 35/14) zu Recht erkannt, dass es für die Bewertung einer möglichen täterschaftlichen Haftung eines Anschlussinhabers für von seinem Internetanschluss aus begangene Urheberrechtsverletzungen insbesondere auch darauf ankommt, ob dieser zum Tatzeitpunkt ortsanwesend war.

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2016-05-24 21 00 44

Rechtsanwalt Carl Christian Müller, LL.M.
Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht

 

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Bericht

Link:
http://abmahnung-medienrecht.de/2016/05/lg-berlin-ortsabwesenheit-zum-tatzeitpunkt-laesst-haftung-entfallen/

Urteil als PDF:

LG Berlin, Urteil vom 15.03.2016, Az. 16 S 35/14
http://abmahnung-medienrecht.de/wp-content/uploads/2016/05/Urteil-vom-15.03.2016.pdf

Vorinstanz:
AG Charlottenburg, Urteil vom 30.09.2014 , Az. 225 C 112/14
http://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Text=225%20C%20112/14

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Der Sachverhalt

Die Klägerin ist Inhaberin ausschließlicher Nutzungs- und Verwertungsrechte des Albums „Ten (Legacy Edition)“ der Gruppe Pearl Jam. Die von uns vertretene Beklagte war Anschlussinhaberin eines Internetanschlusses. Die Klägerin behauptete, das Album „Ten“ sei über eine der Beklagten zuzuordnenden IP-Adresse Dritten zum Download zur Verfügung gestellt worden. Die Beklagte lebte und arbeitete zum behaupteten Tatzeitpunkt jedoch über einen Zeitraum von zwei Monaten mehrere hundert Kilometer von ihrem originären Wohnsitz entfernt.

Die Klägerin hat die Beklagte gerichtlich auf Schadensersatz und Erstattung der außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Anspruch genommen. Die erstinstanzliche Klage wurde mit Urteil vom 30.09.2014 (Az. 225 C 112/14) durch das Amtsgericht Charlottenburg vollumfänglich abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung der Klägerin hat das Landgericht Berlin mit Urteil vom 15.03.2016 (Az. 16 S 35/14) zurückgewiesen.

Soweit ein geschütztes Werk der Öffentlichkeit von einer IP-Adresse aus zugänglich gemacht wurde, die zum fraglichen Zeitpunkt einer bestimmten Person zugeteilt ist, spricht die tatsächliche Vermutung dafür, dass diese Person für die Rechtsverletzung verantwortlich ist. Der Anschlussinhaber wiederum kann im Rahmen der hieraus resultierenden sekundären Darlegungslast geltend machen, eine andere Person habe die Rechtsverletzung begangen. Dieser sekundären Darlegungslast ist die Beklagte vorliegend vollends nachgekommen.

Denn diese hat nicht nur bestritten, die Rechtsverletzung selbst begangen zu haben, sondern auch dezidiert vorgetragen, sich zum streitgegenständlichen Zeitpunkt anderorts aufgehalten zu haben. Die Ortsabwesenheit der Beklagten war vorliegend entscheidungserheblich. So führte das Landgericht Berlin aus, dass zwar grundsätzlich für die Teilnahme an Filesharing-Netzwerken eine persönliche Anwesenheit des Anschlussinhabers nicht erforderlich sei. Ausreichend sei vielmehr schon, dass der Computer eingeschaltet und mit dem Internet verbunden war. Dieser Grundsatz gelte allerdings ausschließlich in Fällen vorübergehender zeitlich begrenzter Ortsabwesenheit. In den Fällen, in denen der Anschlussinhaber über einen Zeitraum von mehreren Monaten nicht ortsanwesend ist, könne gerade nicht mehr davon ausgegangen werden, dass der Computer eingeschaltet und mit dem Internet verbunden war. Es entspreche im Übrigen schon der allgemeinen Lebenserfahrung, dass der Router bzw. der Computer während einer solch langen Abwesenheitsperiode nicht in Betrieb gelassen wurde.

Das Landgericht Berlin hat die Revision nicht zugelassen, das Urteil ist somit rechtskräftig.

 

 

Landgericht Berlin, Urteil vom 15.03.2016, Az. 16 S 35/14

 

(…) hat die Zivilkammer 16 des Landgerichts Berlin in Berlin – Mitte, Littenstraße 12-17, 10179 Berlin, auf die mündliche Verhandlung vom 15.03.2016 durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht [Name], die Richterin am Landgericht [Name]und den Richter am Landgericht [Name] für Recht erkannt:
1. Die Berufung gegen das am 30.09.2014 verkündete Urteil des Amtsgerichts Charlottenburg – Aktenzeichen 225 C 112/14 – wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten der Berufung zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das Urteil des Amtsgerichts Charlottenburg ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

Von der Abfassung des Tatbestands wird gemäß § 313a Abs. 1 ZPO abgesehen.

II.

Die Berufung ist zurückzuweisen, da sie zwar zulässig, aber unbegründet ist.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von Schadenersatz bzw. Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten, weil sie für die von der Klägerin behauptete Rechtsverletzung weder als Täterin noch als Störerin haftet.

Als Täter haftet nur diejenige Person, die die Rechtsverletzung selbst begangen hat.

Wird ein geschütztes Werk der Öffentlichkeit von einer IP-Adresse aus zugänglich gemacht, die zum fraglichen Zeitpunkt einer bestimmten Person zugeteilt ist, so spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass diese Person für die Rechtsverletzung verantwortlich ist; daraus ergibt sich eine sekundäre Darlegungslast des Anschlussinhabers, der geltend macht, eine andere Person habe die Rechtsverletzung begangen (BGH GRUR 2010, 633, 634 – Sommer unseres Lebens). Denn es entspricht der Lebenserfahrung, dass in erster Linie der Anschlussinhaber seinen Internetzugang nutzt, jedenfalls über die Art und Weise der Nutzung bestimmt und diese mit Tatherrschaft bewusst kontrolliert (OLG Köln MMR 2014, 338, 339 – Abmahnkosten in Filesharing-Fällen).

Die sekundäre Darlegungslast führt weder zu einer Umkehr der Beweislast noch zu einer über die prozessuale Wahrheitspflicht und Erklärungslast hinausgehenden Verpflichtung des Anschlussinhabers, dem Anspruchsteller alle für seinen Prozesserfolg benötigten Informationen zu verschaffen (BGH GRUR 2014, 657, 658 – BearShare).

Die Beklagte ist ihrer sekundären Darlegungslast nachgekommen. Sie hat erstinstanzlich bestritten, die Rechtsverletzung selbst begangen zu haben und vorgetragen, zum streitgegenständlichen Zeitpunkt mit ihrer 4-jährigen Tochter in Saarbrücken gewesen zu sein.

Entgegen der Ansicht der Klägerin ist es nicht unerheblich, dass die Beklagte, wie sie behauptet, zum Tatzeitpunkt ortsabwesend war. Zwar ist für die Teilnahme am Filesharing die persönliche Anwesenheit des Anschlussinhabers nicht erforderlich; es genügt vielmehr, dass der Computer eingeschaltet und mit dem Internet verbunden ist (OLG Köln. MMR 2010, 44, 45 – Rechtsverletzung im – Filesharing-Verfahren; LG Hamburg MMR 2008, 685, 686 – Mitstörerhaftung des Anschlussinhabers für P2P-Urheberrechtsverletzungen). Dies gilt allerdings nur in den Fällen einer vorübergehenden zeitlich begrenzten Ortsabwesenheit. Denn in Fällen, in denen, wie vorliegend von der Beklagten ausgeführt, der Anschlussinhaber über einen Zeitraum mehrerer Monate nicht ortsanwesend ist, kann nicht davon ausgegangen werden, das der Computer eingeschaltet und mit dem Internet verbunden war.

Dies folgt aus der Entscheidung des BGH GRUR 2010, 633, 634 – Sommer unseres Lebens, in der der BGH den Umstand, dass der Anschlussinhaber zum fraglichen Zeitpunkt im Urlaub gewesen ist, für erheblich gehalten hat. Es entspricht im Übrigen der allgemeinen Lebenserfahrung, dass die Beklagte ihren Computer / Router während dieser Zeit nicht genutzt bzw. in Betrieb gelassen hat.

Dass die Behauptung der Beklagten, sie sei in der Zeit .von Anfang November bis Mitte / Ende Dezember 2010 ‚und damit während der Zeit der behaupteten Rechtsverletzung im [Name] tätig gewesen und habe dort eine Ausstellung vorbereitet, zutrifft, steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung der Kammer fest.

Die Zeugin [Name] hat insoweit ausgeführt, dass die Beklagte von November bis Dezember 2010 [Anschrift] gewesen ist. Zwar konnte sie nicht mehr erinnern, ob die Beklagte an jedem Tag dort gewesen ist. Die Zeugin konnte anhand ihrer Kalender-Aufzeichnungen jedoch feststellen, dass die Beklagte jedenfalls am 09. und 17.11.2010 [Anschrift] war. Zudem hat die Zeugin bekundet, dass die Beklagte nicht für längere Zeit abwesend war. Auch hat die Zeugin ausgeführt, dass die Beklagte aller Wahrscheinlichkeit nach auch am 16.11.2010 vor Ort gewesen sei, um an der Vorbereitung einer Veranstaltung am 17.11.2010 teilzunehmen. Dass die Beklagte ihren Computer am 15. oder 16.11.2010 [Anschrift] bei sich geführt habe, hat die Zeugin ebenfalls ausgeschlossen.

Die Kammer hat keine Veranlassung, an der Richtigkeit der Aussage zu zweifeln. Die Zeugin hat ihre Aussage schlüssig und frei von Widersprüchen getätigt. Nach dieser Aussage steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Beklagte zum vermeintlichen Tatzeitpunkt am 15. / 16.11.2010 in [Anschrift] und nicht in [Anschrift] war, weshalb sie als Täterin der Rechtsverletzung nicht in Betracht kommt.

Auf die weiteren von der Beklagten benannten Nutzer des WLAN-Anschlusses kommt es nicht an, weil diese die Rechtsverletzung unstreitig nicht begangen haben. Auch war der Anschluss der Beklagten unstreitig durch ein Passwort hinreichend geschützt. Es ist daher nicht ersichtlich, dass sich ein von der Beklagten durch die Bereitstellung des WLAN-Anschlusses ausgehendes Risiko in der Rechtsverletzung verwirklicht und die Beklagte daher, ohne Täterin zu sein, adäquat kausal zur vermeintlichen Rechtsverletzung beigetragen hat. Eine Haftung der Beklagten als Störerin kommt daher ebenfalls nicht in Betracht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. (…)

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LG Berlin, Urteil vom 15.03.2016, Az. 16 S 35/14

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