12:44 Uhr
Unschuldige können durch eine Ermittlungspanne schnell in die Fänge der Abmahnindustrie geraten. Dies gilt besonders, wenn nur eine Urheberrechtsverletzung zu einem einzigen Zeitpunkt festgestellt worden ist. Das Amtsgericht Köln hat daher eine Klage gegen unseren Mandanten abgewiesen.
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Rechtsanwalt Christian Solmecke, LL.M.
WILDE BEUGER SOLMECKE Rechtsanwälte GbR
Kaiser-Wilhelm-Ring 27-29 | 50672 Köln
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Bericht
Urteil als PDF:
https://www.wbs-law.de/wp-content/uploads/2016/12/AG-K%C3%B6ln-148-C-163_14-2.pdf
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BaumgartenBrandt hatte im Auftrag der Lichtblick Films GmbH (ehemals Los Banditos Films GmbH) unserem Mandanten eine Abmahnung wegen Filesharing geschickt. BaumgartenBrandt warf ihm vor, dass er den Film „Upstairs“ über seinen Anschluss verbreitet haben soll. Die zugehörige IP-Adresse sei von Guardaley über die Ermittlungssoftware „Observer“ festgestellt worden. Vor Gericht verlangte BaumgartenBrandt 400,00 EUR Schadensersatz. Ferner sollte unser Mandant für die Abmahnkosten in Höhe von 555,60 EUR aufkommen.
Filesharing: Einmalige Ermittlung von Anschluss reicht nicht
Doch das Amtsgericht Köln wies mit Urteil vom 01.12.2016 (Az. 148 C 163/14) die Klage von BaumgartenBrandt als unbegründet ab. Der Richter war nicht davon überzeugt, dass der Rechteinhaber wirklich den richtigen Anschluss ermittelt hatte. Aufgrund der einmaligen Anschlussermittlung des Anschlusses sprach keine tatsächliche Vermutung für deren Richtigkeit. Dies gilt vor allem, wenn die Ermittlungs-Software Observer eingesetzt worden ist. Viele Gerichte haben die Zuverlässigkeit von Observer infrage gestellt. Hierzu gehören das Oberlandesgericht Köln mit Beschluss vom 20.01.2012 (Az. 6 W 242/11), das Landgericht Berlin mit Urteil vom 03.05.2011 Az. (16 O 55/11) sowie das Amtsgericht Frankenthal mit Urteil vom 24.04.2015 Az. (3a C 253/14).
Filesharing Ermittlungspanne kommt oft vor – Fehlerquote über 50%!
Abmahnanwälte sollten darauf achten, dass der jeweilige Anschlussinhaber durch den Rechteinhaber sorgfältig ermittelt worden ist. Hierdurch würde dem Abmahnwahn wirksam Einhalt geboten. Ferner würde die Musikindustrie nicht so einen schlechten Ruf haben. Wer eine Abmahnung wegen Filesharing erhalten hat, sollte sich mit einem Rechtsanwalt oder einer Verbraucherzentrale in Verbindung setzen. Das gilt gerade auch dann, wenn er von seiner Unschuld überzeugt ist. Insbesondere bei der erstmaligen Ermittlung der IP-Adresse beträgt die Fehlerquote bei über 50%. Diese haben bereits mehrfach Gerichte in von uns gewonnenen Filesharing Verfahren festgestellt. (HAB)
AG Köln, Urteil vom 01.12.2016, Az. 148 C 163/14
(…) – Beglaubigte Abschrift –
Verkündet am 01.12.2016
[Name], Justizbeschäftigte
als Urkundsbeamtin der GeschäftsstelleAmtsgericht Köln
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
In dem Rechtsstreit
[Name],
Klägerin,Prozessbevollmächtigte: [Name],
gegen
1. [Name],
2. [Name],
Beklagten,Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Wilde, Beuger, Solmecke, Kaiser-Wilhelm-Ring 27-29, 50672 Köln,
hat das Amtsgericht Köln auf die mündliche Verhandlung vom 10.11.2016 durch den Richter am Amtsgericht [Name]
für Recht erkannt:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.Tatbestand:
Die Klägerin nimmt die Beklagten hinsichtlich Urheberrechtsverletzungen in sog. P2P-Netzwerken im Wege des Filesharings in Anspruch.
Die Beklagten sind die Inhaber des Internetanschlusses in ihrem Haushalt. Das von ihnen betriebene WLAN ist nach dem aktuellen Stand der Technik gesichert gewesen.
Mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 21.06.2010 ließ die Klägerin die Beklagten abmahnen, weil diese am 19.12.2009 die ihr an dem Film „[Name]“ zustehenden Rechte verletzt haben sollen.
Die Beklagten erhebt hinsichtlich der geltend gemachten Ansprüche die Einrede der Verjährung.
Die Klägerin behauptet die Beklagten hätten den streitgegenständlichen Film in einem Peer-to-Peer-Netzwerk im Wege des Filesharing über ihren Internetanschluss anderen Nutzern dieses Netzwerkes zum kostenlosen Herunterladen angeboten. Dies sei durch die hiermit beauftragte Firma [Name] mittels der Software [Name] sowie aufgrund der Auskunft des Providers zur Zuordnung der ermittelten IP-Adresse zum Anschluss des Beklagten, zutreffend festgestellt worden. Sie sei Inhaberin der Nutzungsrechte an dem streitgegenständlichen Film im deutschsprachigen Raum auf DVD und im Internet. Sie ist der Ansicht ihr stehe ein im Wege der Lizenzanalogie zu ermittelnder Schadensersatzanspruch in Höhe von 400,00 EUR sowie ein Anspruch auf Ersatz der ihr im Rahmen der Abmahnung entstandenen Anwaltskosten von 555,60 EUR zu (1,3 Geschäftsgebühr aus einem Streitwert von 7.500,00 EUR zzgl. 20,00 EUR Auslagenpauschale).
Die Klägerin beantragt,
1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin einen angemessenen Schadensersatz, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, der jedoch insgesamt nicht weniger als 400,00 EUR betragen soll, zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 555,60 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.Sie bestreiten den klägerseits dargelegten softwarebasierten Ermittlungsvorgang sowie die korrekte Zuordnung der angeblich ermittelten IP-Adresse zu ihrem Internetanschluss und behaupten, dass auch ihre im Zeitpunkt der Rechtsverletzung bereits volljährigen Kinder über ihren Anschluss Zugriff auf das Internet gehabt hätten.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Es kann dahinstehen, ob die Klägerin überhaupt aktivlegitimiert ist. Zudem ist das Bestehen einer tatsächlichen Vermutung der Täterschaft des Anschlussinhabers in Fällen mehrerer Anschlussinhaber bereits zweifelhaft. Jedenfalls bei dogmatischer Herangehensweise dürfte eine solche tatsächliche Vermutung, für die ein Satz der Lebenserfahrung sprechen muss, kaum zu begründen sein. Zwar erscheint eine mittäterschaftliche Begehung der Rechtsverletzung durch mehrere Anschlussinhaber nicht ausgeschlossen, aber eben auch nicht überwiegend Wahrscheinlich, was für das Bestehen einer tatsächlichen Vermutung erforderlich wäre. Geht man gleichwohl vom Bestehen einer tatsächlichen Vermutung aus, löst man sich letztlich von jeglicher dogmatischen Grundlage des Anscheinsbeweises und praktiziert eine reine Billigkeitsrechtsprechung. Die auf Klägerseite ansonsten bestehenden Beweisprobleme‘ könnten dies nahe legen. Nach Auffassung des Gerichts schwingt sich die Rechtsprechung damit aber in unzulässiger Weise zu einem Ersatzgesetzgeber auf. Eine völlige Abkehr vorn Grundsatz, dass dem Kläger der Beweis obliegt, dass der Inanspruchgenommene die Rechtsverletzung begangen hat, über die Grundsätze des Anscheinsbeweises hinaus hin zu einer Internetanschlussinhaberhaftung, obliegt einzig und allein dem Gesetzgeber und nicht der Rechtsprechung. Letztlich kann dies jedoch dahinstehen.
Jedenfalls steht nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der streitgegenständliche Film tatsächlich über den Internetanschluss der Beklagten zum Download angeboten worden ist.
Die Klägerin kann sich diesbezüglich nicht auf eine Vermutung, ihre Ermittlungen im vorliegenden Fall müssten in Ansehung weiterer zu den Beklagten führenden Ermittlungen richtig sein, berufen. Eine solche Vermutung kann im Einzelfall, wenn etwa in einem gewissen Zeitzusammenhang wegen desselben Werkes mehrere Zuordnungen zum selben Anschlussinhaber führen und in einem Fall die Zuordnung einer richtigen Ermittlung streitig ist, gelten. Hier ist aber bereits völlig offen, ob die Ermittlung zuverlässig und richtig war, denn die Klägerin bezieht sich ausschließlich auf einen einzigen Ermittlungszeitpunkt.
Hinsichtlich der Ermittlung einer Rechtsverletzung der in Rede stehenden Art zu einem einzigen Zeitpunkt kann es nach Auffassung des Gerichts, unabhängig von der Frage nach der grundsätzlichen Zuverlässigkeit der eingesetzten Ermittlungssoftware, zu Fehlern kommen. Diese können eine Vielzahl von Ursachen haben und das Ermittlungsergebnis oder die Zuordnung des ermittelten Verstoßes zu einem Anschluss betreffen. Anders als bei der Ermittlung mehrerer Rechtsverletzungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten über unterschiedliche IP-Adressen und jeweiliger Zuordnung zu ein und demselben Anschluss, erscheint eine fehlerhafte Ermittlung oder Zuweisung im Einzelfall nicht ausgeschlossen. Bestreitet der Inanspruchgenommene in diesen Fällen die korrekte Ermittlung der Rechtsverletzung, ist es Sache des Anspruchsstellers diese darzulegen und zu beweisen. Ihrer diesbezüglichen Beweislast ist die Klägerin jedoch nicht nachgekommen.
Verweise auf Feststellungen in anderen Verfahren, geben für die in Rede stehende konkrete Ermittlung nichts her.
Ebenso verhält es sich mit Gutachten zur grundsätzlichen Zuverlässigkeit der eingeholten Ermittlungssoftware. Den Beweisangeboten der Beklagten zu den Ermittlungen war nicht nachzugehen. Der angebotene Zeugenbeweis ist bereits ungeeignet, um die Richtigkeit des Ermittlungsvorgangs in allen Einzelheiten zu beweisen. Diese ist nämlich nicht Gegenstand der Wahrnehmung des Zeugen, der regelmäßig nur den Einsatz und das ermittelte Ergebnis, nicht aber dessen Richtigkeit bezeugen kann. Auch ein Sachverständigengutachten kann nachträglich nicht die Richtigkeit des konkreten Ermittlungsvorgangs bestätigen, sondern regelmäßig nur die Frage der grundsätzlichen Zuverlässigkeit der Ermittlungssoftware. Dies ist nach dem Vorgesagten aber nicht ausreichend.
Soweit die Klägerin auf die Rechtsprechung des Landgerichts Köln verweist, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Das Landgericht Köln hat in der zitierten Entscheidung nicht festgestellt, dass auch bei einem einzigen Ermittlungszeitpunkt stets von der Zuverlässigkeit der Ermittlung durch die Software Observer auszugehen sei. Das Landgericht hatte vielmehr über einen Fall der Mehrfachermittlung zu entscheiden und führt aus:
„Auch ist die Ansicht des Beklagten, es sei generell von einer Unzuverlässigkeit der eingesetzten Ermittlungssoftware Observer auszugehen, nicht zutreffend. Der Kammer sind eine Vielzahl von Fällen bekannt, in denen mit der eingesetzten Software zutreffende Ermittlungsergebnisse ermittelt wurden.
Nicht zuletzt ist auch im vorliegenden Rechtsstreit hiervon auszugehen. Denn die .Klägerin trägt vor, dass die streitgegenständliche Rechtsverletzung, das Angebot des Filmwerkes …, im Rahmen einer Filesharing-Tauschbörse, zu vier unterschiedlichen Zeitpunkten und unter zwei verschiedenen IP-Adressen ermittelt wurde, wobei diese IP- Adressen jeweils dem Anschluss des Beklagten zugewiesen waren (Anlage K2, Bl. 35 GA). Die Wahrscheinlichkeit, dass zu demselben Werk in vier Fällen ein unrichtige Ermittlung vorliegt, die dennoch jeweils zu dem Internetanschluss des Beklagten führt, ist derart gering, dass keine vernünftigen Zweifel an der Richtigkeit des Sachvortrages der Klägerin bestehen.“
(LG Köln, Beschl. v. 23.06.2016, Az. 14 S 86/15, BeckRS 2016, 15261, beckonline)
Diese Auffassung teilt das Gericht. Es wurde auch zu keiner Zeit die Behauptung aufgestellt, die Software [Name] käme stets zu falschen Ergebnissen und selbst bei Mehrfachermittlung reiche die Ermittlung mittels der Software zum Nachweis der Rechtsverletzung nicht aus.
In ständiger Rechtsprechung lässt das Gericht eine Einfachermittlung aber nicht ausreichen, wenn die Zuverlässigkeit der Ermittlung bestritten wird und zwar sowohl hinsichtlich der Ermittlung der IP-Adresse als auch hinsichtlich der Zuordnung der IP-Adresse zu einem bestimmten Internetanschluss.
Dies stellt auch keine Überspannung der an den notwendigen Grad der Überzeugung nach § 286 Abs. 1 ZPO anzulegenden Anforderungen dar. Vielmehr handelt es sich um den Regelfall, dass einfaches Bestreiten im Hinblick auf den Tatsachenvortrag der Gegenseite ausreichend ist und insoweit Beweis zu erheben wäre. Es liegt nach dem oben Gesagten aber kein wirksamer Beweisantritt der Klägerseite vor.
Die bloße Behauptung, dass eine Einzelermittlung der Rechtsverletzung und Zuordnung zu einem Internetanschluss fehlerfrei verlaufen sei, gebietet vernünftigen Zweifeln daran, dass aufgrund der Vielzahl der Fehlerquellen nicht doch eine fehlerhafte Ermittlung oder Zuordnung stattgefunden hat, jedenfalls kein Schweigen.
Dies gilt nach Auffassung des Gerichts für jede Ermittlungssoftware, aber für die eingesetzte Software Observer sogar in besonderem Maße, denn die Zuverlässigkeit dieser Software wird gerade für die Jahre 2009 und 2010 von mehreren Gerichten in Zweifel gezogen (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 20.01.2012, Az. 1-6 W 242/11, Az. 6 W 242/11; LG Berlin, Urteil vom 03.05.2011, Az. 16 0 55/11, CR 2012,58; AG Frankenthal, Urteil vom 24.04.2015, Az. 3a C 253/14; AG Koblenz, Beschluss vom 02.01.2015, Az. 153.0 3184/14, CR 2015, 190).
In dem Verfahren vor dem Landgericht Berlin wurde mit Urteil vom 03.05.2011, Az. 16 U 55/11, festgestellt, dass es der Wahrheit entspreche, dass die [Name] bei der Ermittlung von IP-Adressen unzuverlässig arbeite. In dem Verfahren vor dem Oberlandesgericht Köln, Beschluss vom 20.01.2012, Az. 6 W 242/11- konnte der Senat nicht feststellen, dass das Programm „[Name]“ geeignet war, die behaupteten Rechtsverletzungen zuverlässig zu ermitteln. (…)
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AG Köln, Urteil vom 01.12.2016, Az. 148 C 163/14
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