10:08 Uhr
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Entscheidungen der Gerichte in Berlin und Brandenburg
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Urteil im Volltext
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AG Charlottenburg, Urteil vom 28.08.2017, Az. 213 C 99/17
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 124,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 18.02.2014 zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 93 Prozent und die Beklagte 7 Prozent zu tragen. Hiervon ausgenommen sind die Kosten der Anrufung des unzuständigen Amtsgerichts Schöneberg, welche die Klägerin zu tragen hat.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages zuzüglich 10 Prozent abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages zuzüglich 10 Prozent leistet.
Tatbestand
Die Parteien streiten über urheberrechtliche Ansprüche.
Die Klägerin ist Inhaberin der ausschließlichen Nutzungs- und Verwertungsrechte des im August 2013 veröffentlichten Computerspiels […]. Das Computerspiel wurde am 31.10.2013 um 17:44:23 Uhr und 21:50:35 Uhr unter der dem Anschluss der Beklagten zugeordneten IP-Adresse [IP] zum Download angeboten.
Die Klägerin mahnte die Beklagte mit anwaltlichem Schreiben vom 06.02.2014 deshalb ab und forderte die Beklagte zur Zahlung von Schadensersatz bis zum 17.02.2014 auf.
Die Klägerin macht mit der Klage geltend,
– 900,00 EUR Lizenzentschädigung,
– 984,60 EUR Rechtsanwaltskosten nach einem Gegenstandswert von 20.000,00 EUR (1,3 fache Geschäftsgebühr zzgl. 20,00 EUR Auslagenpauschale).Die Klägerin meint,
es liege eine Unbilligkeit i.S.v. § 97a Abs. 3 Satz 4 UrhG vor, da bei der öffentlichen Zugänglichmachung im Rahmen einer anonymen Online-Tauschbörse ein besonderes Gefährdungspotential bestehe und die Zugänglichmachung im unmittelbaren Zusammenhang mit der Erstveröffentlichung erfolgte. Auch sei die Vorschrift des § 97a Abs. 3 UrhG europarechtskonform auszulegen. Sie behauptet, das WLAN der Beklagten sei nicht offen gewesen und die Beklagte habe ihren Router nicht ohne Passwortschutz betrieben.Die Klägerin beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an sie einen Betrag von 984,60 EUR nebst jährlicher Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 18.02.2014 zu zahlen.
2. die Beklagte zu verurteilen, an sie einen weiteren Betrag über 900,00 EUR nebst jährlicher Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 18.02.2014 zu zahlen.Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.Die Beklagte behauptet,
sie habe versehentlich den WLAN-Router ohne entsprechendes Passwort genutzt.Das Amtsgericht Schöneberg hat den Rechtsstreit durch Beschluss vom 16.06.2017 an das hiesige Gericht verwiesen. Das Gericht hat über die Behauptung der Klägerin, dass die Beklagte den Router mit Passwortschutz betrieben habe, Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen [Name]. Wegen des genauen Inhalt des Beweisbeschlusses und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der Sitzung vom 28.08.2017 (Blatt 47 f. der Gerichtsakten) verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die eingereichten Schriftsätze sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 14.08. und 28.08.2017 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige ist nur teilweise begründet, im Übrigen unbegründet.
I.
1.
Die Klage ist unbegründet, soweit die Klägerin die Zahlung einer Lizenzentschädigung von 900,00 EUR begehrt. Insoweit besteht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt und auch nicht aus § 97 Abs. 2 UrhG ein Anspruch auf Schadensersatz. Die Beklagte haftet nicht als Täter für die Urheberrechtsverletzung. Wird ein geschütztes Werk der Öffentlichkeit von einer IP-Adresse aus zugänglich gemacht, die zum fraglichen Zeitpunkt einer bestimmten Person zugeteilt ist, so spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass diese Person für die Rechtsverletzung verantwortlich ist. Eine die tatsächliche Vermutung ausschließende Nutzungsmöglichkeit Dritter ist dabei nur anzunehmen, wenn der Internetanschluss zum Verletzungszeitpunkt nicht hinreichend gesichert war oder bewusst anderen Personen zur Nutzung überlassen wurde (std. Rspr., vgl. nur BGH, Urt. v. 06.10. 2016 – I ZR 154/15, juris; BGH, Urt. v. 12.95.2016 – I ZR 48/15, juris; BGH, Urt. v. 11.06.2015 – I ZR 75/14, juris; BGH, Urt. v. 12.05.2010 – I ZR 121/08, BGHZ 185, 330; OLG München, Urt. v. 14.01.2016 – 29 U 2593/15, juris). Will sich der Anspruchsteller dabei auf die tatsächliche Vermutung stützen, so obliegt es grundsätzlich ihm, diese Voraussetzungen darzulegen und nötigenfalls zu beweisen. Jedoch trifft in diesen Fällen den Anschlussinhaber eine sekundäre Darlegungslast (BGH, Urt. v. 06.10.2016 – I ZR 154/15, juris; BGH, Urt. v. 12.05.2016 – I ZR 48/15, juris; BGH, Urt. v. 11.06.2015 – I ZR 75/14, juris; OLG München, Urteil vom 14.01.2016 – 29 U 2593/15, juris, Rn. 36).
Dieser sekundären Darlegungslast ist die Beklagte durch den Vortrag, dass der Anschluss nicht hinreichend gesichert war und Benennung eines Zeugen, nachgekommen. Die für das Eingreifen der tatsächlichen Vermutung und damit auch für die Behauptung, dass der Anschluss hinreichend gesichert war, beweisbelastete Klägerin hat aber nicht bewiesen, dass der Internetanschluss entgegen dem Vorbringen der Beklagten hinreichend gesichert war. Die Aussage des Zeugen [Name] hat diese Behauptung der Klägerin nicht bestätigt. Vielmehr steht umgekehrt nach der Aussage des Zeugen fest, dass der Anschluss nicht gesichert war. Die Aussage des Zeugen war glaubhaft und der Zeuge glaubwürdig. Der Zeuge räumte Erinnerungslücken ein und erläuterte zudem, dass sein Handy zuvor ohne Passwortschutz in das WLAN einzuloggen war, was nach der Passwortsicherung nicht mehr der Fall war. Soweit die Klägerin bereits im Vorfeld einen Antrag auf Beeidigung des Zeugen gestellt hat, war dem nicht nachzukommen, da die Aussage bereits für die Klägerin nicht ergiebig war und zudem ein höherer Beweiswert nicht zu erwarten war. Soweit die Klägerin sich zudem auf den Umstand beruft, dass der damalige Rechtsanwalt der Beklagten lediglich auf weitere Nutzer verwiesen hat und nicht angab, dass das WLAN offen war, ist keine andere Bewertung gerechtfertigt. Vielmehr spricht dies umgekehrt dafür, dass die Angaben der Beklagten vor Gericht zutreffend waren. Denn nur in diesem Fall kann die Beklagte überhaupt als Störer in Anspruch genommen werden, was bei einer Täterhaftung eines Dritten nicht der Fall gewesen wäre. Die Offenbarung dieses Umstandes war insoweit zum damaligen Zeitpunkt nicht notwendig. Hat die Beklagte aber nicht den Beweis erbracht, dass der Internetanschluss entgegen dem Vorbringen der Beklagten hinreichend gesichert war, ging dies zu ihren Lasten. Denn damit greift die täterschaftliche Vermutungswirkung zu Lasten der Beklagten nicht ein.
2.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte aber aus dem Gesichtspunkt der Störerhaftung einen Anspruch auf Erstattung von Rechtsanwaltskosten als erforderliche Aufwendungen im Sinne von § 97a Abs. 3 Satz 2 UrhG in Höhe von 124,00 EUR. Wegen des weitergehend geltend gemachten Anspruchs war die Klage abzuweisen. Die Beklagte haftet nach der zum Zeitpunkt der Verletzungshandlung maßgeblichen Rechtslage als Störer. Denn der Inhaber eines WLAN-Anschlusses, der es unterlässt, die im Kaufzeitpunkt des WLAN-Routers marktüblichen Sicherungen ihrem Zweck entsprechend anzuwenden, haftet – nach der damaligen Rechtslage – als Störer auf Unterlassung, wenn Dritte diesen Anschluss missbräuchlich nutzen, um urheberrechtlich geschützte Werke in Internettauschbörsen einzustellen (BGH, Urt. v. 12.05.2010 – I ZR 121/08, juris).
Der Höhe nach besteht aber nur ein Anspruch auf Zahlung von 124,00 EUR für eine 1,3 fache Geschäftsgebühr bei einem Gegenstandswert von 1.000,00 EUR (=104,00 EUR zzgl. 20,00 EUR Auslagenpauschale). Nach § 97a Abs. 3 Satz 2 UrhG beschränkt sich der Ersatz der erforderlichen Aufwendungen hinsichtlich der gesetzlichen Gebühren auf Gebühren nach einem Gegenstandswert für den Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch von 1.000,00 EUR, wenn der Abgemahnte eine natürliche Person ist, die nach diesem Gesetz geschützte Werke oder andere nach diesem Gesetz geschützte Schutzgegenstände nicht für ihre gewerbliche oder selbständige berufliche Tätigkeit verwendet, und nicht bereits wegen eines Anspruchs des Abmahnenden durch Vertrag, auf Grund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung oder einer einstweiligen Verfügung zur Unterlassung verpflichtet ist. Die Beklagte ist eine natürliche Person, die das Werk nicht für ihre gewerbliche oder selbständige berufliche Tätigkeit verwendet hat. Auch trägt die Klägerin nicht vor, dass diese bereits wegen eines Anspruchs des Abmahnenden durch Vertrag, auf Grund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung oder einer einstweiligen Verfügung zur Unterlassung verpflichtet ist. Die Deckelung des Erstattungsanspruchs ist auch nicht nach § 97a Abs. 3 Satz 4 UrhG ausgeschlossen. Nach dieser Regelung kommt eine Deckelung nicht in Betracht, wenn aufgrund „besonderer Umstände des Einzelfalls“ die Erstattung des Anspruchs aus einem Gegenstandswert von 1.000,00 EUR unbillig ist. Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Die Regelung des § 97a Abs. 3 Satz 4 UrhG stellt eine Ausnahmevorschrift dar, die bezweckt, dass die Deckelung von erstattbaren Abmahnkosten nicht unterlaufen wird (Reber in BeckOK UrhR, UrhG, § 97a, Rn. 28, beck-online). Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die öffentliche Zugänglichmachung des Computerspiels im unmittelbar zeitlichen Zusammenhang mit der Veröffentlichung überhaupt eine solche tatsächliche Ausnahme begründen kann, wenn das Werk schon veröffentlicht ist. Denn im vorliegenden Fall erfolgte die Zugänglichmachung nicht im unmittelbaren Zusammenhang, sondern erst mehr als zwei Monate später. Auch aus europarechtlichen Erwägungen unter Heranziehung des Art. 14 der Richtlinie 2004/48 ist entgegen der Auffassung der Klägerin keine andere Auslegung gerechtfertigt und ist insbesondere aus europarechtlichen Gründen nicht die Annahme geboten, dass eine „den besonderen Umständen des Einzelfalles“ entsprechende Unbilligkeit i.S.v. § 97a Abs. 3 Satz 4 UrhG vorliegen würde. Die vorgenannte Richtlinie sieht zwar vor, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen sollen, dass die Prozesskosten und sonstigen Kosten der obsiegenden Partei in der Regel, soweit sie zumutbar und angemessen sind, von der unterlegenen Partei zu tragen sind. Die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten stellen aber bereits keine Prozesskosten dar. Vielmehr handelt es sich um vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten. Es handelt sich auch nicht um „sonstige Kosten“ im Sinne von Art. 14 der Richtlinie 2004/48, auf welche die seitens der Klägerin herangezogene Entscheidung des EuGH (Urt. v. 28.07.2016 – C-57/15, juris) abstellt. Hierunter fallen vielmehr nur Kosten, die unmittelbar und eng mit dem betreffenden Gerichtsverfahren zusammenhängen (EuGH, a.a.O., juris, Rn. 36). Daran fehlt es aber hier, da mit der Abmahnung ein Unterlassungsanspruch geltend gemacht wird, der hier nicht einmal streitig ist. Hinzu kommt, dass nach Art. 14 der Richtlinie ausdrücklich aus Billigkeitserwägungen eine Ausnahme von der Erstattungspflicht statthaft ist. Bei natürlichen Personen, die die Voraussetzungen des § 97a Abs. 3 UrhG erfüllen, entspricht es aber grundsätzlich der Billigkeit, die Höhe der Kostentragungspflicht im Einzelfall zu überprüfen. Dies ist gerade in § 97a Abs. 3 UrhG geregelt worden, indem den besonderen Umständen des Einzelfalls Rechnung getragen werden kann. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist es dem nationalen Gesetzgeber auch nur untersagt, einen „bedingungslosen Ausschluss“ vorzunehmen (EuGH, a.a.O., Rn. 31), was der Gesetzgeber – durch die Formulierung von Ausnahmemöglichkeiten in § 97a Abs. 3 Satz 4 UrhG – aber zutreffend nicht gemacht hat. Insoweit kann dahingestellt bleiben, ob die Regelung des § 97a Abs. 3 UrhG nicht auch entsprechend der Gesetzesbegründungen als Begrenzung des Gegenstandswertes auszulegen sein könnte, so dass ohnehin der Anwendungsbereich des Art. 14 der Richtlinie 2004/48 nicht eröffnet wäre, da eine volle Kostenerstattung stattfindet und auch der Rechtsanwalt gegenüber seinem Mandanten nur diese Kosten in Ansatz bringen darf. Dafür spricht, dass dem Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesmaterialien offenbar nicht bewusst war, das nicht der Rechtsanwalt selbst im Außenverhältnis gegenüber dem Störer der Gläubiger des Anspruchs auf Gebührenerstattung ist, sondern der Urheberrechtsinhaber, gegen welchen wiederum der Rechtsanwalt einen Anspruch hat. So formuliert etwa die Beschlussempfehlung (BT-Dr. 17/14192, Seite 4), dass mit der vorliegenden Gesetzesfassung beabsichtigt ist, für den vorgerichtlichen Bereich – wie schon in den Entwürfen vorgesehen – „die grundsätzliche Begrenzung des anwaltlichen Erstattungsanspruchs bei urheberrechtlichen Abmahnungen“ zu erhalten. Der Wille des Gesetzgebers war entsprechend nicht auf eine bloße Begrenzung des Erstattungsanspruchs des Geschädigten, sondern auf eine Beschränkung des Gebührenanspruchs des Rechtsanwalts selbst durch Anpassung des Gebührenstreitwertes gerichtet. Im Hinblick auf §§ 23 RVG i.V.m. §§ 48 Abs. 1 GKG, 3 ZPO dürfte dann aber das Ermessen des Rechtsanwalts dahingehend gebunden sein, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 97a Abs. 3 UrhG nur der danach berechtigte Anspruch auch seinem Mandanten in Rechnung gestellt werden darf. Auch hier ist nach alledem, wie dargelegt, lediglich ein Gegenstandswert von 1.000,00 EUR berechtigt.
II.
Die Zinsentscheidung beruht auf §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 92 Abs. 1, 281 Abs. 3 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1, Satz 2 i.V.m. 709 Satz 2 ZPO. (…)
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AG Charlottenburg, Urteil vom 28.08.2017, Az. 213 C 99/17
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