23:33 Uhr
AW3P: Die Berliner Kanzlei „NIMROD RECHTSANWÄLTE Bockslaff & Scheffen Rechtsanwälte GbR“ informiert aktuell über eine erstrittene Entscheidung vor dem Oberlandesgericht Hamm (Urt. v. 28.01.2016, Az. I-4 U 75/15). Hierbei wurde ein Anschlussinhaber abgemahnt, der im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast seinen damals minderjährigen Sohn (12 Jahre) namentlich als Täter benannte. Nach einer, gegen den Vater erwirkten und später aufgehobenen EV, wurde der minderjährige Sohn am Landgericht Bielefeld verklagt. Im Berufungsverfahren fällte das OLG Hamm eine Entscheidung zuungunsten des Täters. Nun ergeben sich einige Fragen aus dieser Entscheidung.
Diesbezüglich hat AW3P Rechtsanwalt Dr. Alexander Wachs von der Hamburger Kanzlei „Dr. Wachs Rechtsanwälte“ einige interessante Fragen gestellt.
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Rechtsanwalt Dr. Alexander Wachs
Dr. Wachs Rechtsanwälte
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Zusammenstellung ausgewählter Entscheidungen
der Kanzlei Dr. Wachs Rechtsanwälte: Link
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AW3P: Herr Rechtsanwalt Dr. Wachs. In sehr vielen Entscheidung, wie auch im OLG-Entscheid, ist zu lesen, dass der Kläger die Freistellung der Anwaltskosten beantragt oder diese Freistellung richterlich zugesprochen bekommt. Was muss man sich unter der „Freistellung der Anwaltskosten“ vorstellen. Welchen Zweck verfolgt mit dieser Freistellung, welcher Paragraf legt es fest, was für eine Bedeutung hat sie für den Kläger?
Rechtsanwalt Dr. Alexander Wachs: Freistellung von der Verbindlichkeit bedeutet im Wesentlichen, dass wenn die Abmahnkosten noch nicht im Innenverhältnis zwischen Abmahner und Rechtsanwalt geleistet wurden, eigentlich nur ein Antrag auf Freistellung von dieser Verbindlichkeit gestellt werden kann. Oftmals wird in Klage gleichwohl ein „unmittelbarer“ Zahlungsantrag gestellt. Der Antrag auf Freistellung ist ein anderer Antrag als der Antrag auf Zahlung. Das wird aufgrund des § 250 BGB (Schadensersatz) aber nur in den seltensten Fällen relevant. Die Bedeutung für Abgemahnte ist eher als gering zu bewerten.
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AW3P: Im BGH-Entscheid „Morpheus“ (Urt. v. 15.11.2012 – I ZR 74/12) wurde von den Bundesrichtern ermessen, wenn Eltern ihr minderjähriges Kind zur Internetnutzung belehren und Filesharing verbieten, einmal gegenüber den abgemahnten Eltern bzw. Elternteil keine Ansprüche geltend gemacht werden können. Warum wurde dann der zum Tatzeitpunkt 12-jährige benannte Filesharer verklagt und Forderungen wie Unterlassung, Schadensersatz, Freistellung der Anwaltskosten geltend gemacht?
Rechtsanwalt Dr. Alexander Wachs: Der Unterschied ist einfach, dass die Eltern mit der Belehrung ihrer Pflicht nachgekommen sind, gleichzeitig aber der Verletzer – auch wenn er minderjährig ist – voll haftet. Es kommt für die Haftung des Kindes nicht auf die Geschäftsfähigkeit, sondern auf die Einsichtsfähigkeit an.
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AW3P: Was ist diese „Einsichtsfähigkeit“ und warum musste der Minderjährige diese selbst widerlegen?
Rechtsanwalt Dr. Alexander Wachs: Die Einsichtsfähigkeit ist in § 828 BGB geregelt. Sie bedeutet, dass der Minderjährige nach seiner individuellen Verstandesentwicklung fähig ist, die Gefährlichkeit seines Tuns – also das Nutzen einer Tauschbörse – zu erkennen und sich der Verantwortung für die Folgen seines Tuns bewusst zu sein. Es gibt – vereinfacht ausgedrückt – eine widerlegbare Vermutung nach § 828 Abs. 3 BGB, dass ein 12 jähriger die Einsichtsfähigkeit besitzt. Wenn der Minderjährige die Vermutung widerlegen will, muss er dies beweisen.
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AW3P: Wenn Sie gestatten, möchte ich eine Frage zu einem theoretischen Sachverhalt stellen. Wenn es dem Beklagten gelungen wäre das nicht Vorliegen seiner Einsichtsfähigkeit zu beweisen, was hätte es möglicherweise für einen Ausgang auf das Verfahren gehabt. Könnte man sogar dann gegen den abgemahnten Anschlussinhaber erneut rechtliche Schritte einleiten in Richtung Schadensersatzforderungen?
Rechtsanwalt Dr. Alexander Wachs: Wenn das Kind nicht die Einsichtsfähigkeit besessen hätte, wäre die Klage wohl abgewiesen werden. Es ist aber ein sehr schmaler Grad, dass die Einsichtsfähigkeit reicht, um belehrt werden zu können, aber gleichzeitig nicht so weit reicht, um die Folgen des Handels abzusehen. Das ist ein ziemlicher „Eiertanz“, der vor dem OLG Hamm nicht gelang. Wenn zunächst festgestellt wurde, dass die Belehrung ausreichend war und erfolgt ist, könnte auf den Anschlussinhaber – wenn dessen Kind sich dann doch nicht einsichtsfähig herausstellt – nicht wieder zurückgegriffen werden.
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AW3P: Wenn sich mit Erhalt einer Abmahnung wegen illegalem Filesharing sich herausstellt, das ein minderjähriges Kind höchstwahrscheinlich dafür verantwortlich ist, wie sollten sich der abgemahnte Anschlussinhaber bzw. Eltern anfänglich verhalten?
Rechtsanwalt Dr. Alexander Wachs: In den meisten Fällen würde ich betonen, dass die Rechtsverletzung nicht durch den Anschlussinhaber begangen wurde und dann auf einen Vergleich hinwirken. Das ist aber vornehmlich bei den Kanzleien empfehlenswert, die auch viel klagen. Dazu gehören Waldorf Frommer, rka., Rasch, Schulenberg und Schenk, Nimrod und mit Abstrichen Sasse und Partner. Wenn man bereits das Kind als Täter benannte, sollte eine Unterlassungserklärung unterzeichnet durch das Kind und die Eltern für das Kind abgegeben werden, um zumindest eine Unterlassungsklage zu verhindern.
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AW3P: Herr Rechtsanwalt Dr. Alexander Wachs, eine abschließend Frage von eher privater Natur. Natürlich könnte man das Verhalten des Rechteinhabers moralisch verwerfen. Anderseits nimmt auch der ursprünglich abgemahnte Anschlussinhaber – als Elternteil – selbst billigend in Kauf, das gegen sein als Täter benanntes minderjähriges Kind rechtliche Schritte ausgeschöpft werden könnten. Sie sind selbst Vater. Würden Sie, um sich aus einer möglichen Störerhaftung zu befreien, eines ihrer Kinder dem Abmahner namentlich als Täter auf dem Silbertablett präsentieren?
Rechtsanwalt Dr. Alexander Wachs: Die meisten Eltern wissen ja überhaupt nicht, dass auch minderjährige Kinder verklagt werden können. Deswegen wollen sich die Eltern auch nicht verstecken, sondern sie teilen einfach nur den Sachverhalt mit. Das kann natürlich sehr teuer werden, weil zum Beispiel die Kanzlei rka. das schon seit einigen Jahren erfolgreich Ansprüche gegen Minderjährige durchsetzt. Das Kind als Täter zu benennen ist einfach nicht besonders clever, weil dann die vollen Ansprüche gegen das Kind durchgesetzt werden und letztlich die Eltern das im Ende doch zahlen werden. Ansonsten besteht gegen das Kind ein Titel, der hoch verzinst, nach 30 Jahren vollstreckt werden kann. Das ist wenig wünschenswert.
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AW3P: Ich bedanke mich recht herzlich bei Rechtsanwalt Dr. Alexander Wachs, das er sich für die Beantwortung kurzfristig Zeit nahm.
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