10:03 Uhr
Nur eine kleine Entscheidung, aber gegen einen nervigen Gegner. Nervig, weil die Abmahnindustrie schlicht und einfach nervt. Das Schema und die Taktik ist doch immer die gleiche: Mandanten bekommen von den üblich verdächtigen Anwaltskanzleien Schreiben mit der Behauptung, man habe irgendetwas, entweder ein Lied, ein Pornofilm oder sonst etwas, was man dringend haben muss, über ein Filesharing-Protokoll geladen. Tattag und sekundengenaue Uhrzeit inklusive. Das ganze verbunden mit einer Unterlassungserklärung, die man unterschreiben soll und dem großzügigen Angebot, bei Zahlung von vielleicht nur 1.000,00 EUR wäre die Sache erledigt.
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Rechtsanwälte Dorka, Wings und Schmitz
Hochstraße 54 | 45964 Gladbeck
Fon (02043) 67880 | Fax (02043) 62145
E-Mail: buero@dorkawings.de | Web: www.dorkawings.de
Bericht
Link:
http://www.dorkawings.de/2016/04/nimm-dies-abmahnindustrie/
Urteil als PDF:
http://urteile.dorkawings.de/AGBochum70C40-16.pdf
Autor:
Rechtsanwalt Thomas Wings
Fachanwalt für Strafrecht
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Mal abgesehen von dem Umstand, wie viel Geld das für die meisten Menschen ist, können sehr viele Mandanten weder mit dem angeblich heruntergeladenen Lied (oder Film) etwas anfangen, noch kann es sein, dass von dem in Anspruch genommenen Mandanten zur „Tatzeit XY“ etwas illegales gemacht worden sei.
Wir antworten also höflich, geben zu bedenken, dass der Mandant keinen Rechtsverstoß begangen hat, fügen eine selbst formulierte Unterlassungserklärung anbei, weil es zum einen eine Erklärung zu einer Selbstverständlichkeit ist („… ich werde nie dieses Lied zum Upload bereitstellen“ – müsste man eigentlich a la Bart Simpson hundertmal in die Unterlassungserklärung schreiben …) und weil es andererseits die Abmahnindustrie nicht dazu verführt, teure Prozesse gegen Mandanten zu führen, die die Mandanten schon wegen der Verfahrenskosten an den Rande des Ruins bringt.
Die Industriellen lassen jedoch nicht locker, sondern schicken in loser Reihenfolge nach einem Zufallsprinzip immer wieder Wünsche nach Geld. Man solle doch die Rechtsprechung beachten, vor allem die des internetfeindlichen BGH. Die Forderungen werden nach unten korrigiert, stets mit der Androhung einer Klage. Der Ton wird rauer – wir antworten erst gar nicht. Kostet nur Zeit, Nerven und Geld.
Sehr, sehr selten machen die Industriellen ihre Drohung wahr und verklagen die Betroffenen einer Abmahnung. Dann kann man anfangen, den Sachverhalt gegenüber dem Gericht darzulegen und nicht selten ziehen die Abmahnindustriellen ihre Klage im Verlaufen des Verfahrens wieder zurück.
Nicht so in einem kleinen Verfahren von letzter Woche. Dort bestand eine angebliche Urheberrechtsinhaberin vier Jahre nach dem angeblichen Vorfall auf einem Urteil. Das bekam sie jetzt – und verlor. Das Amtsgericht Bochum (70 C 40/16) hat die Klage abgewiesen, weil die Industriellen nicht beweisen konnten, dass der Mandant den Urheberrechtsverstoß begangen hat.
Recht so!
Und hier ist das Urteil im Volltext.
Amtsgericht Bochum, Urteil vom 13.04.2016, Az. 70 C 40/16
(…) In dem Rechtsstreit
der DigiRights …
– Klägerin –Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt Sebastian, Daniel,
gegen
[Name]
– Beklagten –Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Dorka und Partner, Hochstr. 54, 45964 Gladbeck,
hat das Amtsgericht Bochum auf die mündliche Verhandlung vom 13.04.2016 durch den Richter am Amtsgericht für Recht erkannt:
I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
III.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Betrages in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von dem Beklagten Schadensersatz und Ersatz der Abmahnkosten anlässlich einer angeblichen Urheberrechtsverletzung. Dazu behauptet die Klägerin, der Beklagte habe am 02.03.2012 die Tonaufnahme „Ai …“ von „M. T.“ über seinen Internetanschluss ohne Erlaubnis der Klägerin, die Inhaberin der urheberrechtlichen Nutzungs- und Verwertungsrechte sei, öffentlich anderen Nutzern zum Download angeboten. Dafür begehrt die Klägerin Schadensersatz in Höhe einer Lizenzgebühr sowie Ersatz der vorgerichtlichen Abmahnkosten.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 651,80 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 19.05.2015 zu zahlen.Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.Er macht geltend, er habe weder etwas auf einer Tauschbörse herunter geladen noch die streitgegenständliche Tonaufnahme anderen zum Download angeboten. Zur Zeit der angeblichen Urheberrechtsverletzung sei der Internetanschluss auch von anderen, nämlich der Zeugin [Name] und seinem Sohn [Name] genutzt worden. Die Zeugin [Name] habe seinen WLAN-Anschluss über ihren eigenen Laptop genutzt. Der Sohn habe den WLAN-Anschluss entweder über den PC des Beklagten oder über sein eigenes Smartphone genutzt. Den minderjährigen Sohn habe er seinerzeit belehrt, keine Urheberrechtsverletzung im Internet zu begehen. Zudem habe es sich um einen verschlüsselten WLAN-Anschluss gehandelt.
Für weitere Einzelheiten wird auf die von den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist unbegründet.
Der Beklagte haftet unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt für die geltend gemachte Urheberrechtsverletzung. Wird über einen Internetanschluss eine Rechtsverletzung begangen, ist eine tatsächliche Vermutung für eine Täterschaft des Anschlussinhabers nicht begründet, wenn zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung noch andere Personen diesen Anschluss benutzen konnten. So war es auch im vorliegenden Fall.
Der Beklagte hat seiner sekundären Darlegungslast ausreichend genügt. Der Beklagte hat nämlich nicht nur die bloß theoretische Möglichkeit des Zugriffs Anderer auf seinen Internetanschluss, sondern konkret vorgetragen, dass andere Personen selbständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und als Täter in Betracht kommen. Er hat nämlich dargelegt, dass der Internetanschluss außer ihm auch weiteren in der Klageerwiderung genau bezeichneten Personen zur Verfügung stand und diese auch zur Zeit des angeblichen Urheberrechtsverstoßes den Anschluss mitbenutzt haben. Zugunsten der Klägerin spricht zwar eine tatsächliche Vermutung, die jedoch keine Beweislastumkehr bewirkt, dass eine festgestellte Urheberrechtsverletzung von dem Anschlussinhaber verursacht ist. Der aus der tatsächlichen Vermutung folgenden sekundären Darlegungslast hat der Beklagte aber genügt. Nach seinem Vortrag besteht die ernsthafte Möglichkeit eines abweichenden Geschehensablaufs. Danach war die Klägerin in vollem Umfang für eine Rechtsverletzung durch den Beklagten darlegungs- und beweispflichtig. Indes ist ein entsprechendes Beweisangebot nicht erfolgt.
Eine Störerhaftung des Beklagten kommt nicht in Betracht. Der Beklagte hat dargelegt, dass er minderjährige Mitnutzer belehrt habe, kein Unrecht im Internet anzustellen. Eine darüber hinausgehende Verpflichtung des Beklagten, die Nutzung des Internets durch seinen minderjährigen Sohn zu überwachen, bestand mangels Anhaltspunkten für Verstöße nicht. Zudem handelte es sich auch um einen verschlüsselten WLAN-Anschluss.
Danach war die Klage mit den Nebenentscheidungen aus §§ 91, 708 Nr. 11 in Verbindung mit § 711 ZPO abzuweisen
Rechtsbehelfsbelehrung:
Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung für jeden zulässig, der durch dieses Urteil in seinen Rechten benachteiligt ist,
1. wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt oder
2. wenn die Berufung in dem Urteil durch das Amtsgericht zugelassen worden ist.Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung dieses Urteils schriftlich bei dem
Landgericht Bochum,
Westring 8,
44787 Bochum,eingegangen sein. (…)
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AG Bochum, Urteil vom 13.04.2016, Az. 70 C 40/16
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